Saal 700, Landgericht Berlin im Stadtteil Moabit. Hier trifft sich die Szene arabischer Clans in Berlin in schöner Regelmässigkeit. Berlin, ja ganz Deutschland und arabische Clans liefern sich seit einiger Zeit einen Kampf um die Hoheit, zumindest in Teilen der Gesellschaft.
Ein Diebstahl als Machtdemonstration
Aktuell wird ein tolldreister Raub einer 100kg-Goldmünze im Wert von 3,7 Millionen Euro verhandelt, angeklagt sind drei junge Männer, zwei Brüder, ein Cousin, Mitglieder einer stadtbekannten arabischen Grossfamilie.
Dieser Diebstahl ist eine Machtdemonstration. Seht, wir können das. Doch die Justiz schlägt zurück. Die zuständige Staatsanwältin Petra Leiser hat den Clanführer Arafat Abou Chaker öffentlichkeitswirksam mitten aus dem Gerichtssaal verhaften lassen, als er sich in anderer Sache zu verantworten hatte. (Am vergangenen Donnerstag wurde er allerdings wegen fehlender Haftgründe entlassen.)
Tote auf offener Strasse
Justiz und Clans liefern sich einen offenen Kampf. Berlin erinnert in diesen Monaten an das mafiöse Chicago der 1930er-Jahre. Auf offener Strasse wurde ein Clanmitglied erschossen. Beim Begräbnis erschienen 2000 Trauergäste, darunter 180 kriminelle Clanmitglieder, so die Polizei.
Der Rechts- und Islamwissenschaftler Mathias Rohe von der Universität Erlangen hat sich intensiv mit arabischen Clans befasst. Ein besonderes Merkmal dieser Clans: «Die treten schon sehr offensiv auf. Ich habe das selbst erlebt am Brandenburger Tor. Sie fuhren dort mit irgendwelchen sehr teuren Autos in verrückter Geschwindigkeit in die Fussgängerzone. Die Polizei stand dabei etwas ratlos daneben. Sie versuchen zu demonstrieren, dass sie die Vorherrschaft über den öffentlichen Raum haben.»
Machtlose Ordnungsmacht
In manchen Stadtteilen Berlins herrsche ein Klima der Angst, erläutert er in einer 200seitigen Studie über Paralleljustiz der Clans in Berlin. Keineswegs in ganz Berlin sei der Rechtsstaat auf dem Rückzug. «Es gibt aber schon einige Orte, die eine oder andere Shisha-Bar, wo es passieren kann, dass sich innerhalb einer halben Stunde 70-80 sehr gewaltbereite junge Männer versammeln.»
Da komme die staatliche Ordnungsmacht nicht mehr dagegen an. «Wir hatten solche Erlebnisse schon bei Kleinigkeiten, etwa bei Ordnungsbussen während Verkehrskontrollen. Auf einmal sammeln sich da alle möglichen Leute aus der Nachbarschaft und bedrohen die Ordnungskräfte. Das sind Dinge, die für die Durchschnittsbevölkerung zum Teil gar nicht sichtbar werden. Aber für Leute, die wissen wer wer ist, für die herrscht dann ein Klima der Angst.»
Und auch wenn es keine Entschuldigung gibt, so doch eine Erklärung dafür, warum diese Clans im grossen Stil in die organisierte Kriminalität, Prostitution, Drogenhandel, Glücksspiel einstiegen. Deutschland verbot in den 1980er Jahren staatenlosen Flüchtlingen für zehn Jahre eine reguläre Arbeit, es gab keine Schulpflicht für ihre Kinder.
Viele wurden von den Schulen genommen. «Das führte dazu, dass wir Leute in der dritten oder vierten Generation haben, die immer noch keine deutsche Staatsangehörigkeit oder zum Teil nicht mal einen verfestigten Aufenthaltstitel haben», sagt Rohe.
Die Frau als schwächstes Familienmitglied
In diesen Clans ist der Staat traditionellerweise der Feind, die Familie alles. Geregelt werden alle Probleme unter sich, im Sinne der Familie und oft nach dem Recht des Stärkeren.
Die schwächsten sind die Frauen, die häufig nach islamischem, aber nicht deutschem Zivilrecht verheiratet sind. Der deutsche Staat kann sie kaum schützen. «Da haben wir die junge Frau, die davon läuft von der Familie, da sie missbraucht wird. Sie wird dann deutschlandweit von den Familienmitgliedern in Internetblogs gesucht.»
Versäumnisse der Vergangenheit wiegen schwer
Das Problem an der Wurzel anpacken ist schwer, vor allem in Berlin. Die Versäumnisse der Vergangenheit wiegen schwer. Das vereinigte Berlin hat weniger Polizei als West-Berlin vor dem Mauerfall. Es wurde massiv gespart. Zu gewissen Nachtzeiten gibt es in Berlin-Wilmersdorf mit 160'000 Einwohnern gerade mal zwei Streifenwagen, sagt Polizeikommissar Jörn Badendick, der auch Vizechef einer unabhängigen Personalvertretung von Polizeibeamten ist.
Die Polizei versucht aktuell schon im Kleinen einzugreifen, eine Politik der Nadelstiche. Und ein neues Gesetz erlaubt es, verdächtige Vermögenswerte einzuziehen; es gilt die Beweisumkehr: Nicht die Behörden, sondern die Verdächtigen müssen nun den rechtmässigen Besitz beweisen.
So wurden 77 Immobilien der Clanfamilie, aus der auch die mutmasslichen Diebe der Goldmünze stammen, eingezogen. Ziel ist eine Politik der Null-Toleranz.