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Armut in den USA «The Night Ministry» – Hilfe für die Obdachlosen von Chicago

In der drittgrössten US-Stadt leben Zehntausende ohne festes Dach. Im Winter schaffen sie das meist nicht mehr allein.

Handschuhe, Socken, Pullover, lange Unterhosen. Aus einem kleinen Bus verteilt Mark Gelula Kleider, Essen, Hygieneartikel – und etwas menschliche Wärme. Auch Zelte und Schlafsäcke sind gefragt. Der Winter in Chicago ist sehr hart. Die jüngste Kältewelle hat das eindrücklich gezeigt – mit Temperaturen deutlich unter minus 20 Grad.

Stephan Koruba öffnet die Seitentüre des Behandlungswagens. Er ist Krankenpfleger der Hilfsorganisation «The Night Ministry»: «Hier haben wir einen kleinen Untersuchungsraum mit einem drehbaren Stuhl. Wir behandeln Wunden und geben den Leuten Medikamente für zwei Wochen und verweisen sie an eine feste Gesundheitseinrichtung.»

Stephan Koruba
Legende: Krankenpfleger Stepan Koruba berät einen Patienten an einer Hochbahn-Station der CTA Blue Line: Ich kann Wunden behandeln. Wir haben Antibiotika, Impfungen, Medikamente gegen Asthma oder Diabetes.» ZVG/The Night Ministry

Die Stadtverwaltung von Chicago zählt auf der Strasse und in Notunterkünften einmal im Jahr die Obdachlosen und spricht von gut 4400. Die Nichtregierungsorganisation «Chicago Coalition for the Homeless» zählt auch jene ohne Zuhause, die bei Bekannten oder Familienmitgliedern unterkommen. Sie spricht von Zehntausenden Obdachlosen. Nur für einen Bruchteil davon stünden Unterkünfte zur Verfügung.

Lange Leidensgeschichten

Hinter den Zahlen stehen Menschen wie John. Die Helfer treffen ihn im Zentrum von Chicago in einer Seitenstrasse an. Seine Habseligkeiten sind aufgetürmt auf einem Kinderwagen. Seit etwa fünf Jahren sei er obdachlos, sagt er.

Abgabestelle.
Legende: Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner sind von der Obdachlosigkeit besonders stark betroffen. ZVG/The Night Ministry

John ist voll des Lobs für die «Night Ministry»: «Sie retten Leben. Viele würden erfrieren oder an Infektionen sterben. Niemand kümmert sich um uns, die wir im Untergrund leben oder im Abfall Essen suchen.» Die Organisation biete Nahrung und medizinische Versorgung – an Orten, wo niemand hinkommen wolle.

Sie geben uns Nahrung und medizinische Versorgung. Sie kommen an Orte, wo niemand hinkommen will.»
Autor: John Obdachloser in Chicago

Die Helferinnen und Helfer hätten ihm das Leben gerettet, sagt der 51-Jährige und zeigt eine lange Narbe auf der Brust: «Ich hatte eine Herzoperation. Wenn sie mir hier nicht gesagt hätten, ich sei krank, wäre ich nicht ins Spital gegangen. Ich wäre draussen gestorben, denn ich hatte keine Ahnung, wie krank ich war.»

Mehr Opioid-Tote während Pandemie

John erzählt von Drogenproblemen – so wie viele auf der Strasse. Die massive Opioid-Krise in den USA ist hier deutlich sichtbar: Fentanyl, ein Opioid 50 Mal stärker als Heroin, ist zum wahrhaftigen Killer geworden. Die Zahl der Opioid-Toten hat landesweit stark zugenommen, vor allem während der Pandemie.

Krankenpfleger Stephane Koruba weiss genau, wie er eine Überdosis behandeln muss: «Wir reiben das Brustbein oder kneifen die Leute. Viele wachen so auf. Wenn sie nicht aufwachen, wenn sie blaue Lippen haben, eine schwache Atmung, dann geben wir das Gegenmittel Naloxon und warten mit ihnen, bis die Ambulanz eintrifft. Manche sterben an einer Überdosis. Häufig können wir sie aber retten.»

Hauptziel: Wieder ein Dach über dem Kopf

Der Bus hält an Unterführungen oder an Strassenrändern. Es dauert nicht lange und die Menschen stehen an. Es ist offensichtlich, dass viele psychische Probleme haben. Die meisten haben dunkle Hautfarbe: Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner sind von Obdachlosigkeit besonders stark betroffen.

Hibbard.
Legende: Case-Managerin Sylvia Hibbard im Rettungswagen mit Drehstuhl: «Wir helfen den Menschen, die Hindernisse zu überwinden. Abhängigkeit ist kein Hinderungsgrund. Es gibt spezielle Unterkünfte auch für Abhängige.» ZVG/The Night Ministry

Die «Night Ministry» hilft ihnen, wieder ein Zuhause zu finden. Case Managerin Sylvia Hibbard organisiert neue Identitätskarten und Geburtsurkunden. Beides ist nötig, um wieder ein Dach über dem Kopf zu finden: «Manche glauben, sie haben keine Chance auf eine Unterkunft, weil sie drogenabhängig sind. Weil sie im Gefängnis waren oder weil sie erfolglos versuchten, ein Zuhause zu finden.»

Was tut die Stadt Chicago in der Kältewelle?

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Die Stadt Chicago hat zurzeit sechs «Warming Center» eröffnet, wo sich Obdachlose tagsüber aufwärmen können, wie SRF-Korrespondent Andrea Christen berichtet. Eine Telefonnummer gibt Auskunft über den nächsten zugänglichen warmen Ort. Das kann auch eine Bibliothek sein. Manche suchen Schutz im «L-Train», in der Hochbahn von Chicago. Es gibt Linien, die die ganze Nacht hindurch fahren.

Trotzdem bleibt vielen nur die Option, in der Nacht draussen irgendwie zu überleben oder in Notunterkünfte zu gehen. Die Hilfsorganisationen wissen genau, wo die Obdachlosen zu finden sind. So hat sich etwa im Stadtzentrum in einer mehrstöckigen Strasse fast unsichtbar eine Zeltsiedlung entwickelt, wo Obdachlose unter erschreckenden Bedingungen leben.

Insgesamt habe die Obdachlosigkeit in Chicago aber ein anderes Gesicht als etwa in Los Angeles, stellt Christen fest: Gerade, weil es in Chicago so kalt werden kann, versuchen Zigtausende bei Bekannten und Verwandten unterzukommen. Dieses «Doubling Up», also das Teilen einer Unterkunft, ist in Chicago besonders verbreitet. Es gibt also auch eine unsichtbare Obdachlosigkeit, die in der Statistik der Stadt Chicago nicht auftaucht.

In der aktuellen Extremsituation hat die Stadt jetzt angeboten, die Notunterkünfte zusätzlich zu finanzieren, damit sie rund um die Uhr offenbleiben können.

Rendez-vous, 28.12.2022, 12:30 Uhr

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