Seit mehr als neun Jahren herrscht in Syrien Bürgerkrieg. Hunderttausende wurden getötet, mehr als zwölf Millionen Menschen vertrieben. Das Land hat sich verändert, vieles wurde zerstört. Doch an der Spitze steht nach wie vor derselbe Mann. Vor 20 Jahren, am 10. Juli 2000, übernahm Baschar Al-Assad die Macht von seinem Vater.
SRF News: Arabischer Frühling, Bürgerkrieg, Kurden, der IS – wie konnte sich Assad trotz allem an der Macht halten?
Thomas Seibert: Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen. Innenpolitisch sind die wichtigsten Gründe zum einen die Loyalität wichtiger Minderheiten und Eliten. Dazu gehört die Glaubensgemeinschaft der Alawiten, der Assad auch selber angehört. Diese ist sehr loyal zu ihm – auch aus Angst, was passieren könnte, wenn Assad stürzen sollte. Dazu kommt die grosse Zerstrittenheit der Opposition gegen Assad und die unglaubliche Brutalität des Sicherheitsapparates, der jeden Widerstand unterdrückt.
Auch aussenpolitisch stand Assad immer wieder massiv unter Druck. Der Streit mit der Türkei, die USA drohten ihm mit einem Militärschlag. Wie konnte er sich dennoch behaupten?
Da spielt vor allem Russland eine grosse Rolle, das seit 2015 die syrische Armee mit der Luftwaffe unterstützt. Russland hat damals Assad vor der Niederlage im Krieg gerettet und ist heute die alles dominierende Militärmacht in Syrien. Auch der Iran hilft Assad mit viel Geld und vielen Kämpfern, die sich unter anderem auch an der Grenze zu Israel sammeln sollen.
Inzwischen sagen sogar die USA, dass sie Assad nicht mehr stürzen wollen – es reiche, wenn er sein Verhalten ändere.
Aussenpolitisch war auch entscheidend, dass der Westen in den ganzen Jahren sehr desinteressiert war. Man hat in Sonntagsreden zwar immer wieder den Sturz von Assad gefordert. Aber inzwischen sagen sogar die USA, dass sie Assad nicht mehr stürzen wollen – es reiche, wenn er sein Verhalten ändere. Auch damit hat er politisch profitiert.
Assad ist vor 20 Jahren mit viel Vorschusslorbeeren als Präsident angetreten. Er galt als weltmännisch und versprach Dialog, man hoffte auf Reformen. Später hat er im Westen eher das Bild von einem brutalen Diktator geprägt, der sogar vor Chemiewaffen nicht zurückschreckt. Wie kam diese Entwicklung?
Die grosse Frage ist, ob es diese Entwicklung von ihm überhaupt gab, oder ob Assad schon immer so war. Es stimmt: Zu Beginn galt er als Hoffnungsträger. Er hatte wenig mit Politik zu tun, bevor er von seinem Vater als Nachfolger auserkoren wurde. Bei seinem Amtsantritt vor 20 Jahren war er erst 34 Jahre alt. Die Verfassung musste damals für ihn geändert werden, weil sie ein Mindestalter von 40 Jahren für das Präsidentenamt vorsah. Die Vorschusslorbeeren, seine Ankündigungen von Reformen und Dialog, gingen sehr schnell unter in Verhaftungswellen. Man muss sich fragen, ob Assad nicht schon damals Mitglied einer Familiendynastie war, die sich ständigen Angriffen ausgesetzt sieht und alles daran setzt, ihre Macht zu erhalten.
Journalisten, die ihn persönlich treffen konnten, beschrieben ihn als sehr höflich und nett, gar charmant. Ist das eines seiner Geheimnisse, wie er es geschafft hat, an der Macht zu bleiben?
Es ist richtig, dass er dieses Image hat, im persönlichen Umgang sehr zurückhaltend, höflich und weltmännisch zu sein. Auch seine Frau Asma war lange Zeit ein Aushängeschild des Regimes. Aber da ist der Lack wohl schon lange und auch nachhaltig ab. Dieser freundliche Umgang im Ton ist wohl nur eine Fassade für einen brutalen Diktator. Auch ein Gewaltherrscher kann ein höflicher Mann sein, wenn er will. Die Zeit, als er davon zehren konnte, ist aber endgültig vorbei.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.