Bisher hatten alle Asylsuchenden bis zum endgültigen Bescheid Anspruch auf eine «Cashcard», auf die monatlich ein Geldbetrag floss. Ab sofort erhalten nur noch jene Geld , die in einer anerkannten offiziellen Unterkunft leben. Damit sind vor allem die staatlichen Flüchtlingslager gemeint, aber auch die Unterkünfte des Wohnungsprogramms des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR.
Rund 25'000 Personen fallen gemäss UNO-Angaben aus dem Raster.
Aus dem Raster fallen alle, die in einer Mietwohnung oder bei unabhängigen Flüchtlingsorganisationen oder bei Bekannten untergekommen sind. Ebenso jene, die auf der Strasse leben. Die UNO beziffert die Zahl der Betroffenen auf rund 25'000, wie Rodothea Seralidou, freie Journalistin in Athen, erklärt.
Athen: EU-Gelder nur für Bedürftige
Wer es sich leisten könne, einen Platz im Flüchtlingslager abzulehnen, habe die Hilfe eher nicht nötig, begründete der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis. Die EU-Gelder müssten für bedürftige Geflüchtete eingesetzt werden. Auch wisse man im Gegensatz zu den Lagern nicht, ob sich die Bezügerinnen und Bezüger überhaupt in Griechenland aufhielten.
Menschenrechts- und Hilfsorganisationen beurteilen das Vorgehen als problematisch. Die Regierung ignoriere, dass es viele Gründe gebe, warum jemand nicht in Lagern leben wolle.
Frauen haben Angst vor abgelegenen Lagern
Etwa die schlechte Erfahrung auf den Inseln wie Lesbos, erklärte etwa die Organisation Greek Council for Refugees, die kostenlosen Rechtsbeistand anbietet: Alleinreisende Frauen mit Kindern hätten häufig Angst. Zudem seien in den abgelegenen Lagern Gänge zu Behörden und Spitälern sowie allfällige Schulbesuche für Kinder schwierig. UNHCR-Unterkünfte als Alternative seien zwar gut, aber permanent überlastet.
Zum Vorwurf, die Regierung wolle die Menschen in Lagern abschotten, stellte Asylminister Mitarakis fest, dass es um laufende Asylverfahren gehe. Integration mache nur bei einem positiven Asylentscheid Sinn. Es gehe darum, Abgelehnte effektiv abzuschieben.
Türkei als sicherer Drittstaat?
Teil der Regierungsstrategie ist laut Seralidou auch die kürzliche Anerkennung der Türkei als sicherer Drittstaat. Das galt bisher nur für syrische Geflüchtete, die über die Ägäis nach Griechenland kamen.
Neu gilt es auch für Syrer, die übers Festland kommen sowie für Menschen aus Afghanistan, Somalia, Pakistan und Bangladesch. Gerade letztere haben eine sehr hohe Anerkennungsquote. Neu müssen sie beweisen, dass sie in der Türkei nicht sicher sind, damit ihr Asylgesuch inhaltlich geprüft wird.
Rund 40 Menschenrechtsorganisationen protestierten scharf und machten geltend, dass die Türkei die EU-Vorgaben für einen sicheren Drittstaat nicht erfülle. Tatsächlich weigert sich Ankara seit März 2020, abgelehnte Asylsuchende aus Griechenland zurückzunehmen.
Harte Linie
Athen fordere zwar von Brüssel mehr Druck auf die Türkei, setze aber sehr stark auf Abschreckung, so Seralidou: «Den Geflüchteten soll ihre Chancenlosigkeit vor Augen geführt werden, damit sie gar nicht erst kommen.»
Athen setzt zurzeit sehr stark auf Abschreckung.
Eine aktuelle Notlage, die diese Härte erklären könne, gebe es allerdings nicht, so Seralidou. Nur 3200 Migranten und Geflüchtete seien 2021 nach Griechenland gekommen, verglichen mit über 70'000 im Jahr 2019. Dafür seien der extreme Grenzschutz und die Pandemie verantwortlich sein. Auch häuften sich Augenzeugenberichte über illegale Rückschiebungen, was Athen dementiere.