Zum Inhalt springen

Auftritt am WEF in Davos Wladimir Klitschko: «Freiheit hat einen hohen Preis»

Berühmt geworden ist er als Box-Weltmeister, jetzt kämpft er für seine Heimat. Wladimir Klitschko ist zu einer Ikone des Widerstandes im Ukraine-Krieg geworden. Im «Club» erzählt er, wie der Krieg ihn verändert hat, für welche Prinzipien er kämpft und welche Unterstützung er sich dabei von der Schweiz erhofft.

Wladimir Klitschko

Aktivist und ehemaliger Profiboxer

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Wladimir Wladimirowitsch Klitschko (1976) ist ein ukrainischer ehemaliger Boxer und mehrfacher Weltmeister im Schwergewicht. Mit dem Beginn des Kriegs hat er sich in der ukrainischen Reservearmee eingeschrieben. Er ist der jüngere Bruder von Vitali Klitschko, dem Stadtpräsidenten von Kiew, der ebenfalls Profiboxer war.

SRF News: Sie hätten auch aus der Ferne Unterstützung leisten können. Warum Sie sind für diesen Krieg in die Ukraine gereist?

Wladimir Klitschko: Durch meine Lebensgeschichte! Ich bin im sowjetischen System geboren. Mein Vater ist ein Ukrainer, meine Mutter ist Russin aus Sibirien. Es ist alles sehr gemischt, und deswegen konnte man sich nie vorstellen, dass die Russen den Ukrainern irgendwann sagen: «Ihr habt nicht das Recht zu existieren, ihr seid ein Fehler der Geschichte, ihr seid ausgedacht. Ihr habt nicht das Recht, frei zu entscheiden, in welche Richtung ihr gehen wollt.» 2014 ist das passiert. Wir haben uns entschieden, uns mit europäischen Werten, demokratischen Werten zu assoziieren. Das ist ein Streben nach Freiheit und die Entscheidung, nicht auf den Knien und auf Befehl in einer kompletten Diktatur zu leben. Damals passierte das, und für diese Prinzipien standen wir. Ich bin in einer Demokratie aufgewachsen, dank des Sports habe ich mehr Zeit in meinem Leben in einer Demokratie verbracht. Ich habe dank des Sports in demokratischen Ländern gearbeitet, die Struktur und die Systeme mitbekommen, Kapitalismus mitbekommen und Freiheit mitbekommen. Und ich weiss, dass die Freiheit einen hohen Preis hat.

Was haben Sie in diesem Krieg neu über sich gelernt? 

Haben sie Kinder? Ja? Schön, ich habe auch ein Kind. Man stellt sich als Mutter oder Vater vor, dass die Kinder das Wichtigste im Leben sind – normalerweise. Das habe ich auch gedacht. Aber auf einmal versteht man die Gefahren und versteht, wofür man steht. Man steht für demokratische Prinzipien, für Freiheit. Und da sind deine Landsleute, die in Gefahr sind. Auf einmal entscheidest du dich, deine Kinder auf der Seite zu lassen und du begibst dich selber in Gefahr. Statt bei deinen Kindern zu sein, stehst du für Prioritäten ein, die gerade wichtiger sind. Und auf einmal schiebt man die Kinder – was ich mir nie vorstellen konnte – an die zweite Stelle.

Wie erklären Sie das ihrer Tochter?

Das ist schwer zu erklären. Es ist ein interner Konflikt, weil man auf der einen Seite die Liebe betrügt, die man hat. Aber auf der anderen Seite, als ausgebildeter Pädagoge, glaube ich, dass man mit eigenen Beispielen vorangehen kann und den Kindern zeigen kann, was zu machen ist.

Der menschliche Preis, dieses Land zu verteidigen, ist unglaublich hoch. Wie hoch kann dieser Preis sein?

«Priceless» – es gibt keinen Preis. Es gibt Vorstellungen, Erwartungen an sich selbst und andere. Ich will hier nicht den Helden spielen, ich habe nicht das Recht dazu. Helden sind für mich die Menschen an der Front, wie in Mariupol. Ich bin in keinen Kampf involviert worden. Und ich meine nicht einen Boxkampf, sondern den Kampf mit Waffen. Ich stehe dazu, ich bin bereit, mein Land zu verteidigen. Es geht um diesen Einsatz, und darum, nicht aufzugeben, auch wenn es schwer wird.

Wie würden Sie den Krieg beschreiben?

Das sind Bilder, die nichts Menschliches an sich haben. Du siehst Zivilisten, junge Leute, Frauen und Männer, ältere Leute, die vielleicht unterwegs waren. Die sind vorher gequält worden, das sieht man. Mit gefesselten Händen hinter dem Rücken wurden sie auf den Knien mit einem Kopfschuss ermordet. Das sind keine Soldaten, das sind normale Bürger, die heute immer noch sterben durch Bombardierung – über 2000 Raketen sind auf dem ukrainischen Boden explodiert und haben getötet. Es gibt viele Worte, den Krieg zu beschreiben, aber es werden nie genug sein.

Sie sagen, zum Weiterführen dieses Krieges brauchen sie mehr Unterstützung.

Ich kann nicht beschreiben, wie viel Unterstützung wir brauchen. Wir wissen nicht, wie weit der Krieg gehen kann. Werden chemische Waffen und Atomwaffen eingesetzt oder nicht? Die Ukraine hat fünf Atomkraftwerke, eines davon ist Tschernobyl, und noch viel mehr Reaktoren. Wenn die alle in die Luft fliegen, dann glauben Sie mir, dann ist es egal, wo die Schweiz liegt und wie weit weg die Schweiz ist; wir wären alle betroffen. Ganz wichtig sind auch die Sanktionen. Was die Energie betrifft, hängen wir alle von Russland ab. Wir müssen Russland sanktionieren und isolieren! Weil jeder Cent, den Russland durch den Handel bekommt, für Waffen ausgegeben wird und uns Ukrainer tötet.

Die Schweiz trägt die Sanktionen mit. Was erwarten Sie sonst noch von der Schweiz? Sie haben gesagt, Länder, die neutral sind und nicht auf die Seite der Ukraine stehen, hätten Blut an den Händen.

Ja, das ist so! Das gefällt euch nicht? Na gut. Das sind die Fakten. Sich nicht auf unsere Seite zu stellen, heisst, das Killen zu unterstützen. Aber ich will hier keine Beschuldigungen machen, ich will Danke sagen. Ich weiss, dass die Schweiz Flüchtlinge aufgenommen hat. Das ist ganz wichtig. Das sind Menschen, die wahrscheinlich verletzt sind, die ihre Verwandten, Kinder, Eltern verloren haben. Die kein Dach über dem Kopf haben und keine Chance auf eine Existenz. Und für diese Flüchtlinge, die aufgenommen wurden, sage ich Danke.

Die Schweiz liefert keine Waffen an die Ukraine, weil die Neutralität es verbietet. Haben Sie Verständnis dafür, wenn ein Land sagt, diese Grenze können wir nicht verschieben?

Die Schweiz will keine Partei unterstützen, wenn zwei Kriegsparteien gegeneinander kämpfen. Ja, das verstehe ich. Was ich nicht verstehe, ist, wenn eine Kriegspartei Völkermord verübt und dann sagt: «Wir bombardieren und kämpfen gegen eine Armee», aber in Wirklichkeit gegen Menschen kämpft. Ist es dann richtig, aus der Sicht der Schweiz oder der Neutralität zu sagen: Wir machen die Augen zu, ihr könnt weiter die Zivilisten töten? Wir fragen: «Geben Sie uns ein Mittel, militärische Ausrüstung, um uns zu wehren.» Und Sie antworten mit Nein. Da bin ich sehr skeptisch.

Das Gespräch führte Barbara Lüthi.

Club, 24.05.2022, 22:25 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel