Zwei Tage dauerte der Streik der Eisenbahner in Frankreich, nun fahren die Züge vorübergehend wieder. Doch die Streiks werden weitergehen. Ob es der Gewerkschaft CGT gelingt, den Staatspräsidenten in die Knie zu zwingen, ist offen. Stefan Seidendorf, Forscher am deutsch-französischen Institut in Ludwigsburg, geht allerdings davon aus, das Emanuel Macron die Oberhand behalten wird.
SRF News: Warum geht Macron jetzt bei der Bahnreform doch auf Konfrontationskurs mit den Gewerkschaften?
Stefan Seidendorf: Er hat sich das nicht ausgesucht. Im Bereich der Eisenbahner ist diese alte, marxistische Gewerkschaft CGT die tonangebende. Sie will von Verhandlungen nichts wissen. Sie denkt immer noch in den Kategorien des Klassenkampfs und hat sich auf das Verhandlungsangebot nicht eingelassen.
Aus Ihrer Sicht hatte Macron gar keine andere Wahl?
Er hätte diese Reform zu einem anderen Zeitpunkt bringen können oder er hätte sagen können, es gebe Wichtigeres als dieses Eisenbahnerstatut zu reformieren. Andererseits ist die Eisenbahn mit ihrem grossen Defizit ein bedeutender Faktor für die Staatsfinanzen. Gleichzeitig droht die europäische Liberalisierung des Eisenbahnmarktes, bei der Frankreich hinterherhinkt. Macron hat im Wahlkampf gesagt, er werde die Sonderregimes bei den Renten und die besonderen Arbeitsverträge für Staatsbedienstete in bestimmten Sektoren ändern. Dazu gehört, dass man schon mit 52 oder 55 Jahren in Rente gehen kann. Von daher steht er ein Stück weit auch in der Pflicht.
Bei der Arbeitsmarktreform konnte die CGT nicht gewinnen. Es gab keinen Protest auf der Strasse. Warum gibt es den jetzt bei der Bahnreform?
Die CGT ist im Bahnbereich viel besser aufgestellt. Sie ist die grösste Gewerkschaft im Eisenbahnbereich und kann auf gut organisierte, streikerprobte Mitarbeiter setzen, die in der Lage sind, durch originelle Massnahmen eine Blockade herbeizuführen. Diese Idee, zwei Tage zu streiken und drei Tage zu arbeiten sorgt in kurzer Zeit für maximales Durcheinander und maximale Unzufriedenheit. Deshalb sind die Erfolgschancen aus Gewerkschaftssicht in diesem Bereich höher.
Die Bahnreform ist für Macron nicht so wichtig wie die Arbeitsmarktreform. Ist es nicht riskant, auf einem Nebenschauplatz auf Konfrontation zu setzen?
Doch, aber er hat damit auch gezeigt, dass er diese Konfrontation nicht scheut. Er ist bereit, alle möglichen Kräfte mit an Bord zu holen. Aber gleichzeitig ist er auch bereit, auf Konfrontation zu gehen, sowohl in der Aussenpolitik als auch in der Innenpolitik. Von dem her würde er seinen Nimbus als junger Reformer, der die Dinge wirklich anpackt, verlieren, wenn er jetzt schon zurückstecken würde.
Er könnte dabei aber den Nimbus, dass Macron alles anders macht und die Konfrontation durchbrechen kann, verspielen.
Ja, das ist die Gefahr dabei. Er fühlt sich aber stark genug, diese Herausforderung anzunehmen. Es sind ja schon andere daran gescheitert, und zwar so sehr, dass sie gar nicht erst mit Reformieren begonnen haben. Macron ist mit der Ansage angetreten, dass er das tut, was er im Wahlkampf angekündigt hat. Man muss auch sehen, die Eisenbahner verfügen auch nicht über sehr viel Rückhalt in der Bevölkerung. Sie sind zwar sehr gut organisiert, aber es gibt schon auch Neid und Eifersucht auf diese immer noch gut dotierten Arbeitsverträge. Das ganze System steht unter Druck.
Es gibt auch Kommentatoren, die sagen, Macron hätte den Gewerkschaften besser mehr Macht gegeben, dann würden die Kämpfe nicht auf den Strassen ausgetragen. Das hat doch was?
Ja, er spielt ein Stück weit auch ein doppeltes Spiel. Es ist so, dass Verhandlungen mit den Reformgewerkschaften laufen. Von diesen Treffen bekommt man in den Medien einfach nichts mit. Wenn denen entsprechend entgegengekommen wird, dann steht die CGT sehr schnell allein und wird im Grund das Opfer dieser Geschichte. Macron könnte dann für sich in Anspruch nehmen, dass er ein Stück des Wegs im sozialen Dialog gegangen ist.
Macron trägt den Entscheidungskampf mit der CGT aus. Wer wird ihn gewinnen?
Macron wird sich durchsetzen, denke ich. Vielleicht kommt es auch zu einem Kompromiss. Ich denke schon, dass Macron am Anfang seiner Präsidentschaft stark genug ist, um das zu schaffen, was alle anderen Präsidenten vor ihm nicht geschafft haben, aber es wird hart.
Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.