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Bedrohung durch Russland Waffenstarrendes Warschau: Polen rüstet massiv auf

Kein Nato-Land investiert derart in seine Armee: Als Reaktion auf die russische Bedrohung deckt sich Polen mit schwerem Militärgerät ein.

Polen rüstet auf – obwohl das Land schon heute mit 4.3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) die prozentual höchsten Verteidigungsausgaben aller Nato-Staaten hat. Nun soll Warschau weitere 96 Kampfhelikopter des Typs «Apache» bekommen. Die USA gaben diese Woche grünes Licht für die Lieferung. Damit hätte Polen die weltweit grösste Flotte dieses Typs ausserhalb der USA.

Apache-Helikopter der US-Armee bei einem Manöver in Südkorea
Legende: Mit seinen Verteidigungsausgaben von 4.3 Prozent des BIP übertrifft Polen das Nato-Ziel von zwei Prozent deutlich. Zum Vergleich: Die USA investieren 3.3 des BIP in die Armee, Frankreich 1.9 Prozent und Deutschland 1.6 Prozent. Bild: Apache-Helikopter der US-Armee. Getty Images/Chung Sung-Jun

Der Grund für die polnische Aufrüstung ist der Krieg im Nachbarland Ukraine. Zudem grenzt mit Belarus ein enger Verbündeter Russlands ebenfalls an Polen.

Das Geschäft im Umfang von 12 Milliarden Dollar würde Polen erlauben, sich aktuellen und künftigen Gefahren besser entgegenzustellen, teilte das US-Aussenministerium mit. «Das Land kann so eine glaubwürdige Streitmacht aufbauen, die in der Lage ist, Gegner abzuschrecken und an Nato-Operationen teilzunehmen.»

Kampfjets, Panzer und Haubitzen

Der Kauf der Helikopterflotte reiht sich ein in eine massive Aufrüstung, die Warschau vorantreibt. Der Fokus liegt dabei vor allem auf schwerem Gerät, wie Jan Opielka, freier Journalist in Polen, ausführt: «Polen will insgesamt mehr als 1300 neue Panzer anschaffen.»

Mariusz Blaszczak spricht anlässlich der Lieferung von amerikanischen Abrams-Panzern (Juni 2023).
Legende: Rund 1000 Panzer sollen aus südkoreanischer, der Rest aus US-Produktion kommen. Bild: Der polnische Verteidigungsminister Mariusz Blaszczak spricht anlässlich der Lieferung von amerikanischen Abrams-Panzern (Juni 2023). Getty Images/Polnisches Aussenministerium

Weiter auf dem Einkaufszettel: Über 600 Haubitzen und 32 F-35-Kampfjets, die auch die Schweiz aus den USA beschaffen will. «Es handelt sich um massive Aufrüstung», sagt Opielka. «Damit wird Polen, was die Panzer- und Apache-Flotte angeht, zu den grössten Armeen in Europa gehören.»

Zur Aufstockung des Militärarsenals kommen Truppenverschiebungen an die belarussische Grenze: Wagner-Kämpfer, belarussische Helikopter und steigende Flüchtlingszahlen hatten Warschau Mitte August dazu veranlasst, 10'000 Soldaten an seine Ostgrenze zu verlegen.

Ein russischer Angriff auf Polen könnte eine unberechenbare Kettenration bis hin zu einem Weltkrieg auslösen.
Autor: Jan Opielka Freier Journalist in Polen

Doch für wie realistisch hält man in Warschau einen Angriff durch Russland oder dessen Verbündeten Belarus? Laut Journalist Opielka kursieren darüber unterschiedliche Sichtweisen im Land: Militärexperten würden eine direkte militärische Konfrontation mit Russland zwar für unrealistisch halten, da Polen als Nato-Mitglied den Rückhalt des westlichen Militärbündnisses hat. «Ein russischer Angriff auf Polen könnte eine unberechenbare Kettenration bis hin zu einem Weltkrieg auslösen.»

Aber: Eine militärische Lagebeurteilung muss nicht zwingend mit der politischen übereinstimmen. Und tatsächlich weichen sie in Polen voneinander ab. «Die Regierung hofft am 15. Oktober auf die Wiederwahl bei den Parlamentswahlen. Sie zeichnet ein Bild, das einen russischen Angriff als realistisch darstellt», sagt Opielka. «Für viel wahrscheinlicher halte ich aber hybride Angriffe und Destabilisierungsmassnahmen vonseiten Russlands.»

Polnische Soldaten in Reih und Glied
Legende: Polen will nicht nur materiell, sondern auch personell aufrüsten: Die Truppenstärke soll auf rund 300'000 Soldatinnen und Soldaten verdoppelt werden. Das wäre zahlenmässig die grösste Armee Europas. Getty Images/Anadolu Agency/Jakub Porzycki

Die «Washington Post» berichtete zuletzt über verdeckte russische Operationen in Polen. Demnach soll der russische Geheimdienst Zivilisten im Land angeheuert haben, um den Boden für Sabotageakte auf westliche Waffenlieferungen in die Ukraine vorzubereiten. So etwa, indem sie polnische Häfen und den Güterverkehr filmten und auskundschafteten.

Wer soll das bezahlen?

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Journalist Jan Opielka erklärt kurz und knapp, wie Polen die Aufrüstung seiner Armee finanzieren will: «Über massive Schulden.» Am Donnerstag stellte die Regierung in Warschau ihre Budgetpläne für das kommende Jahr vor. Umgerechnet schlagen die Rüstungsausgaben dabei mit 35 Milliarden Franken zu Buche. «Diese Zahl ist fast deckungsgleich mit den Schulden, die Polen neu aufnehmen will. Dadurch wird es die EU-Maastricht-Kriterien nicht erfüllen können.» Demnach darf etwa das öffentliche Defizit nicht mehr als drei Prozent des BIP eines Landes umfassen, und der Schuldenstand darf nicht mehr als 60 Prozent des BIP betragen.

Politisch gibt es in Polen tiefe Gräben zwischen liberalen und rechtsnationalistischen Kräften. Die militärische Aufrüstung ist allerdings breit abgestützt, schliesst Opielka: «Oppositionelle kritisieren auch die erheblichen Ausgaben nicht, die damit verbunden sind. Und auch Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung den Kurs stützt.»

SRF 4 News, 25.08.2023, 6:20 Uhr ; 

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