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Blickpunkt Bulgarien Ein Treffen mit Bulgariens neuem Regierungschef

Es ist Krieg – und der westlich orientierte Kiril Petkov regiert ein Land, in dem sich viele mit Russland verbunden fühlen.

Bulgarien gilt als ärmstes und korruptestes Land der EU. Doch seit ein paar Monaten regiert in Sofia mit Kiril Petkov ein Mann, der mit Korruption nichts zu tun hat. Bulgariens neuer Regierungschef hat in Harvard studiert und will das Land verändern – seine Anhänger sehen in ihm eine Art letzte Chance für Bulgarien.

Letzten Herbst hatte der 42-jährige Petkov noch nicht einmal eine Partei – aber eine Truppe von Leuten, denen er an der Universität von Sofia beigebracht hatte, was er selbst im Wirtschaftsstudium an der Eliteuniversität Harvard gelernt hatte.

Es gibt zwanzig graue Eminenzen, die korrupt sind. Diese muss man loswerden.
Autor: Kiril Petkov Ministerpräsident von Bulgarien

Die jungen Leute arbeiten für ihn und sagen, jetzt, da Petkov das Land regiere, schämten sie sich zum ersten Mal nicht mehr, Bulgarin oder Bulgare zu sein.

Nulltoleranz bei Korruption

«Wenn ich sage, für uns gilt beim Thema Korruption Nulltoleranz, dann meine ich das», sagt Petkov. Wahrscheinlich ist er der erste bulgarische Regierungschef, dem man das glauben darf. So kompliziert sei das gar nicht mit der Korruption, sagt Petkov: «Es gibts 6.5 Millionen Menschen in Bulgarien und zwanzig graue Eminenzen, die korrupt sind. Diese zwanzig muss man loswerden.»

Bloss: Die Korruption ist längst überall durchgesickert, und die grauen Eminenzen regieren immer noch mit in Bulgarien. Denn Petkov musste sich mit den Post-Kommunisten und der Partei eines flatterhaften Showmasters zusammentun, um zu regieren. «Die Zusammenarbeit ist schwer, ich wünschte, wir wären konstruktiver», sagt Petkov.

Die mächtige alte, korrupte Garde

An Versuchen mangelt es nicht: Untersuchungen von Petkovs Regierung führten dazu, dass sein Vorgänger verhaftet wurde. Der ehemalige Regierungschef Bojko Borrisow soll von einem Oligarchen Bestechungsgeld angenommen haben. Doch schon nach einem Tag liess der Generalstaatsanwalt Borrisow wieder frei. Der Generalstaatsanwalt arbeite gegen die Regierung, sei Teil der korrupten Vergangenheit, sagt Petkov.

Es ist furchtbar, dass wir in Europa so ein aggressives Regime haben, das den Menschen in der Ukraine so einen Krieg aufzwingt.
Autor: Kiril Petkov Ministerpräsident von Bulgarien

Der Generalstaatsanwalt ist sehr mächtig, Petkov wird ihn kaum los, vor allem nicht ohne Hilfe der Post-Kommunisten. Und diese sind Teil der korrupten Gegenwart.

Keine bulgarischen Waffen für die Ukraine

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Petkov und Selenski.
Legende: Ende April hatte Petkov den ukrainischen Präsidenten Selenski in Kiew besucht. Reuters

Ministerpräsident Petkov wollte der Ukraine Waffen liefern, die mit ihm regierenden Post-Kommunisten aber waren dagegen. Der Kompromiss: Bulgarien repariert jetzt ukrainische Panzer. «Das ist vielleicht sogar wichtiger, als neue Waffen es wären», sagt der Premier. Kritiker allerdings nennen den Deal einen faulen Kompromiss, denn Bulgariens Waffenfabriken hätten gar nicht die nötigen Kapazitäten. Sie schafften es kaum, das Arsenal der bulgarischen Armee zu warten.

Ähnlich ist es mit den Beziehungen zu Russland: Sie sind eng. Oder, um es mit Petkov zu sagen: Wer korrupt ist in Bulgarien, bekommt oft Geld aus Russland. Er selber ist kein Freund Russlands: «Es ist furchtbar, dass wir in Europa so ein aggressives Regime haben, das den Menschen in der Ukraine so einen Krieg aufzwingt.»

Hohe Inflation, viele Flüchtlinge

Am gefährlichsten für Petkovs politisches Schicksal ist aber, dass es Bulgarinnen und Bulgaren kaum noch schaffen, ihr täglich Brot zu bezahlen: 14 Prozent Inflation, alles wird teurer, vor allem Lebensmittel. Die Regierung will nun Milliarden ausgeben für die Ärmsten. Das Geld wird dem Staat anderswo fehlen, dabei finden viele Menschen heute schon, er tue zu wenig für sie.

Demgegenüber tue der Staat zu viel für die ukrainischen Flüchtlinge, sagen manche. Bulgarien hat Geflüchtete in den Hotels an der Schwarzmeerküste untergebracht. Der Regierungschef aber ist stolz darauf, dass Bulgarien die Menschen aus der Ukraine gut behandelt. «Es sind doch vor allem Frauen und Kinder, die vor dem Krieg fliehen.»

Petkov wirkt müde. Er gähnt. «Unsere Prinzipien haben wir nicht verraten», betont er. Die Frage ist, wie viel Zeit ihm bleibt. Die Gefahr ist gross, dass auch er am undurchdringlichen Filz aus Korrupten, Politik und Gerichten scheitert.

Echo der Zeit, 02.06.2022, 18:00 Uhr

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