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Bootsunglück vor Kalabrien Vorwürfe an Regierung Meloni nach Flüchtlingstragödie

Am Wochenende starben mehr als 60 Flüchtlinge vor der Küste Kalabriens, als ihr Boot sank. In Italien wird seither die Frage diskutiert, ob man mehr hätte tun können, um die Menschen zu retten. In der Kritik steht die rechte Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. Für SRF-Korrespondent Peter Voegeli macht diese vor allem Symbolpolitik.

SRF News: Italiens Regierung muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sie hätte mehr Menschen retten können, hätte der Rettungseinsatz früher begonnen. Was weiss man über den Ablauf der Rettungsaktion?

Peter Voegeli: Es war relativ früh klar, dass es sich um ein Flüchtlingsboot mit vielen Menschen handelte. Trotzdem schickte man nur zwei kleine Boote der Guardia di Finanza hinaus. Diese konnten der rauen See nicht trotzen und mussten umkehren. Die Küstenwache wiederum erklärte sich mit ihren grossen Schiffen für nicht zuständig.

Die Küstenwache – sie untersteht Matteo Salvini – erklärte sich für nicht zuständig.

Jetzt wird abgeklärt, warum das so gelaufen ist. Fakt ist: Die Küstenwache untersteht dem Infrastrukturministerium von Matteo Salvini von der Lega – einem erklärten Hardliner in der Flüchtlingspolitik. Die Sache sorgt in Italien für heftige Diskussionen und Vorwürfen, die bis zu unterlassener Hilfeleistung gehen.

Für Empörung sorgte auch Innenminister Matteo Piantedosi. Er sagte nach dem Unglück, keine Verzweiflung rechtfertige es, dass man auf einer solchen Reise das Leben seiner eigenen Kindern riskiere. Er übertrug damit indirekt den Opfern die Verantwortung. Was zeigt das?

Keine Frage: Ganz Italien ist schockiert über dieses Unglück – sowohl links als auch rechts. Doch gleichzeitig befürchten viele Italiener und Italienerinnen eine Invasion von Flüchtlingen und denken in gewisser Weise wie der Innenminister.

Mit dem Thema Flüchtlinge wird in Italien vor allem Stimmung und Symbolpolitik gemacht.

Eine harte und fast schon zynische Flüchtlingspolitik war im Wahlkampf das ideologische Markenzeichen des Rechtsbündnisses von Giorgia Meloni – und Piantedosi spielt jetzt auf dieser Klaviatur. Mit dem Thema Flüchtlinge wird in Italien also vor allem Stimmung und Symbolpolitik gemacht – und weniger das Problem tatsächlich angegangen. Das war aber schon vor Meloni so.

Italien sucht dringend Arbeitskräfte

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Erstmals hat ein Vertreter der italienischen Regierung kürzlich die Themen Flüchtlinge und Fachkräftemangel in Zusammenhang gebracht – womöglich ein Zeichen, dass sich die Diskussion um Migranten und Flüchtlinge womöglich bald auch in eine neue Richtung verlagern könnte: In einer Rede sprach Innenminister Franceso Lollobrigida – Giorgia Melonis Schwager – das grosse strukturelle Problem der fehlenden qualifizierten Arbeitskräfte an. Fakt ist: Seit 2013 haben mehr Italienerinnen und Italiener das Land verlassen, als neue Menschen ins Land gekommen sind. Meist handelt es sich bei den Ausgewanderten um junge, gut ausgebildete Leute. Leute, die Italien eigentlich dringend braucht.

Italiens Regierung ist unter Meloni ganz weit nach rechts gerückt. Erst kürzlich hat Rom ein Gesetz in Kraft gesetzt, welches die Arbeit der Seenotretter erschwert. Welche Rolle spielt das im Umgang mit den Bootsflüchtlingen?

Das Gesetz schreibt vor, dass private Seenotretter nach jeder Rettungsaktion einen Hafen anlaufen müssen. Sie können also nicht mehr mehrere Flüchtlingsboote nacheinander ansteuern, um die Menschen zu retten. Ausserdem werden sehr weit entfernte Häfen angegeben, die sie anlaufen müssen – manchmal bis zu 1600 Kilometer weit entfernt.

Private Seenotrettunsschiffe müssen nach jeder einzelnen Rettung einen Hafen anlaufen.

Diese Praxis zeigt, was unter Symbolpolitik zu verstehen ist: Nur einer von zehn Flüchtlingen, die Italien erreichen, werden von einem privaten Seenotrettungsschiff aufgegriffen. Die anderen neun kommen anderswie ins Land – mit diesem Vorgehen kann das Flüchtlingsproblem also keineswegs gelöst werden.

Das jüngste Unglück hat in Italien eine politische Debatte ausgelöst, wird es auch etwas ändern?

Kaum. Die Regierung Meloni benutzt solch tragische Unglücke unter anderem, um Druck auf die EU auszuüben. Und Symbolpolitik macht sie im Übrigen auch gegenüber der Schweiz, indem Italien keine Flüchtlinge mehr zurücknimmt, die es gemäss Dublin-Abkommen zurücknehmen müsste. Denn hier geht es um derzeit 170 Personen – keine Zahl, die an den Gesamtzahlen der nach Italien kommenden Flüchtlingen gross etwas ändern würde.

Das Gespräch führte Brigitte Kramer.

Rendez-vous, 2.3.2023, 12:30 Uhr ; 

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