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Flüchtlinge als Chance Migranten finden dank App einen Job in Italien

«MyGrants» ermöglicht die Vorbereitung auf Europa – «PicMe» vermittelt sogar Jobs. 500'000 Menschen nutzen die App.

Der 37-jährige Chris Richmond Nzi ist an der Elfenbeinküste geboren, wurde adoptiert und wuchs in den USA auf. Er studierte in der Schweiz, heute lebt er als US-schweizerischer Doppelbürger in Bologna.

Seine App «MyGrants» hat es in sich: «Die App hat Tausende Module mit Quizfragen in verschiedenen Sprachen – auch in Ukrainisch», sagt er. Es geht darin um das Asylrecht, die Funktionsweise des italienischen Staates, die Grundregeln des Arbeitsrechts und so weiter. Also alles, was man wissen muss, um in Italien legal Fuss zu fassen.

Dutzende Jobs vermittelt

Um einen Job zu finden, können die User darüber hinaus in verschiedenen Berufsmodulen eine Art Assessment absolvieren. Die Beantwortung eines Fragenkatalogs zeigt, welche professionellen Fähigkeiten sie haben. Über die Schwester-App «PicMe» können Unternehmen potenzielle Angestellte aus diesem Pool rekrutieren.

Flüchtlingsschiff in Frankreich

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Migranten auf einem Boot.
Legende: Reuters

Das tagelang vor der Küste Italiens umherdümpelnde Seenotrettungsschiff «Ocean Viking II» hat mit 230 Migranten an Bord den Militärhafen von Toulon in Südfrankreich erreicht. Frankreich hatte dem Rettungsschiff am Donnerstag das Einlaufen erlaubt, nachdem Retter und Gerettete tagelang vergebens auf die Zuteilung eines Hafens in Italien gewartet hatten. Die Migranten werden in Frankreich allerdings nicht offiziell aufgenommen: «Paris will vor allem erreichen, dass die Migranten später schneller ausgeschafft werden können», sagt SRF-Korrespondent Daniel Voll in Paris. Rund 150 von ihnen werden in den kommenden Tagen auf neun andere EU-Länder aufgeteilt.

Die Episode belastet das sowieso nicht beste Verhältnis zwischen Frankreich und Italien: Frankreich will ein EU-weites Abkommen zur Verteilung der Migranten gegenüber Italien jetzt aussetzen – allerdings hat das Abkommen noch gar nie funktioniert. Und in Rom zeigte sich die neue, rechtsextreme Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verwundert ob der scharfen Töne aus Paris. Zum ersten Mal überhaupt habe ein Schiff einer NGO in Frankreich angedockt, sagte sie. Deshalb könne sie die Aufregung in Paris wegen der rund 230 Menschen nicht verstehen, wenn man bedenke, dass seit Anfang des Jahres 88'000 Migranten Italien erreicht hätten.

«MyGrants» hat es in sich, weil sie inzwischen 10'000 thematisch strukturierte Module mit je zehn Fragen in fünf Sprachen umfasst – insgesamt also eine halbe Million Fragen. Dahinter steht ein ganzes Team. Inwischen werde die Entwicklung der Fragekataloge an externe Experten ausgelagert, sagt Nzi.

Die App hat derzeit gut 500'000 Nutzer. Und: «Sie verweilen länger darauf als auf Facebook», sagt Nzi stolz. Umgekehrt seien rund 80 Firmen auf der Schwester-App «PicMe». Pro Monat würden im Schnitt 72 User in einen Job vermittelt. Das ist immerhin ein Anfang.

Migranten als Chance betrachten

Aber: «Wie erfolgreich war die Flüchtlingspolitik der letzten zehn Jahre, seit der arabische Frühling eine grosse Fluchtbewegung ausgelöst hat?», fragt Nzi. Die Probleme seien dieselben wie damals.

Der Schutz der Grenzen sei ausgelagert worden, die Solidarität unter den EU-Mitgliedern funktioniere nicht. Von 88'000 Flüchtenden, die dieses Jahr Italien erreicht haben, wurden bislang 164 auf andere EU-Staaten verteilt, meldet die UNO.

Migranten auf einem Boot.
Legende: Von 88'000 in diesem Jahr nach Italien gelangten Flüchtlingen wurden bloss 164 auf andere europäische Länder verteilt. Die Solidarität im Asylbereich funktioniert nicht in der EU. Reuters/Juan Medina

Nzi betrachtet Migranten und Flüchtende nicht als Problem, sondern als Ressource. In Italien dauere ein Asylverfahren rund 600 Tage, das der Steuerzahler berappen müsse, stellt er fest.

Italien hat die drittälteste Bevölkerung der Welt, viele Junge emigrieren. Andererseits werde Afrika im Jahr 2030 mehr arbeitsfähige Menschen im Alter zwischen 16 und 42 Jahren haben als der Rest der Welt.

Ziel: Kochen auf Weltniveau

Funktioniert hat «MyGrants» zum Beispiel im Restaurant Scudderia im Zentrum Bolognas. Die leerstehende Stallung wurde unter anderem mit Usern von «MyGrants» in eine Art florierende Mensa mit Veranstaltungsmöglichkeiten ausgebaut, in der es über Mittag von Studenten nur so wimmelt.

Hier arbeitet der 23-jährige Saikou Gassama aus Gambia. Als 16-Jähriger kam er alleine nach Italien, beendete die Schulen, arbeitete zunächst in Sizilien auf dem Lande und nun, wie er stolz sagt, in der Scudderia als Koch. Sein Ziel: Er will ein Top-Koch werden – nicht nur in Bologna, sondern auf Weltniveau.

Diesen American Spirit gibt es natürlich auch in Italien, aber nicht so oft. Doch es sei genau das, was Italien eigentlich brauchen würde, sagt Nzi.

Rendez-vous, 11.11.2022, 12:30 Uhr

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