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Brexit sorgt für Gegenwind Boris Johnson stösst auch in Nordirland auf Kritik

  • Zum Auftakt einer Reise durch das britische Nordirland ist Premierminister Boris Johnson auch dort auf Kritik gestossen.
  • Nach einem Abendessen mit Vertretern der nordirisch-protestantischen DUP wurde dem Regierungschef in Belfast vorgeworfen, nicht objektiv zu sein.
  • Die DUP stützt die Minderheitsregierung der Konservativen in London.

Johnson wies die Vorwürfe in Belfast zurück: Er wolle Gespräche mit fünf Parteien führen, damit endlich wieder eine Regionalregierung in Nordirland installiert werden könne. «Die Menschen in Nordirland sind nun schon seit zweieinhalb Jahren ohne Regierung.»

DUP-Chefin Arlene Foster berichtete dem Sender BBC, dass sie und Johnson bei dem Abendessen über den Brexit gesprochen hätten. Beide wollten einen EU-Austritt mit Abkommen, aber «ein No Deal ist auf dem Tisch, weil wir eine sehr streitlustige EU haben.»

Fazit von SRF-Korrespondent Martin Alioth

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Während das britische Pfund seine Talfahrt fortsetzt und die britische Automobilindustrie dramatische Rückgänge bei ihren Verkäufen und Investitionen vermeldet, hat der neue Premierminister seine Brexit-Position weiter verhärtet. Boris Johnson will erst mit Brüssel und den 27 EU-Staaten verhandeln, wenn diese auf die Vereinbarungen über den Schutz der irischen Grenze verzichten.

Dafür hat die Regierung ihre Vorbereitungen für einen ungeordneten Austritt am 31. Oktober intensiviert und ein Ausgabenprogramm zur Ankurbelung der britischen Wirtschaft vorbereitet. Was auch immer geschieht, so Johnson diese Woche in Edinburgh, Cardiff und Belfast, Ende Oktober ist Schluss.

Flucht durch den Hintereingang

Die schottische Regierungschefin, die Nationalistin Nicola Sturgeon, empfing den britischen Regierungschef mit einem gefrorenen Gesicht, wie wenn sie eben eine Zitrone verspeist hätte. Schottland hatte bekanntlich deutlich gegen den Brexit gestimmt und will nun ein zweites Referendum. Johnson verliess das Regierungsgebäude in Edinburgh wohlweislich durch den Hintereingang. In Wales ging es Johnson nicht viel besser. Die dort regierende Labour-Partei ist etwas mutiger als die Mutterpartei in London. Sie verlangt ein zweites Referendum und nannte einen ungeordneten Brexit katastrophal. Walisische Schafzüchter fürchten um ihre Lammfleischexporte ins restliche Europa.

Bevor Johnson am Mittwoch mit den nordirischen Parteien sprach, tafelte er am Dienstagabend privat mit seiner Bündnispartnerin in Westminster, Arlene Foster. Ihre Democratic Unionist Party will mehr Geld für ihre zehn Stimmen im Unterhaus, unterstützt aber Johnsons tollkühnen Brexit-Kurs.

Brexit als Feiglingsspiel

Nordirlands Nationalisten und Republikaner, hauptsächlich vertreten durch die Sinn-Fein-Partei, bescheinigten Johnson Ignoranz und dachten laut über ein Referendum über Irlands Wiedervereinigung nach. Der neue Premier hatte eine Woche gebraucht, bis er seinen irischen Amtskollegen Leo Varadkar anrief. Am Dienstag fand dieses Gespräch dann endlich statt. Aber es muss geknistert haben. Varadkar wiederholte, das Scheidungsabkommen mit der EU werde nicht aufgeschnürt werden. Die umstrittenen Regelungen zur irischen Grenze seien das Produkt britischer Entscheidungen und nicht verhandelbar.

So ist der Brexit zum Feiglingsspiel degeneriert. Nicht nur zwischen London und Brüssel, sondern auch zwischen England und seinen keltischen Vettern. In diesen Tagen wird viel Porzellan zerschlagen, ohne dass ersichtlich wäre, wem dies nützen soll.

Demonstranten fordern Verbleib in der EU

Andere Parteien und Demonstranten verurteilten in Belfast vor allem die Risiken eines Brexits ohne Abkommen, mit dem Johnson der Europäischen Union immer wieder droht.

Sinn-Fein-Präsidentin Mary Lou McDonald mit weiteren Brexit-Gegnern
Legende: Bei der Sinn Fein stiess Johnson auf besonders heftige Kritik. Präsidentin Mary Lou McDonald meinte, «mit dem hurra-patriotischen und sturen Johnson» sei der Zeitpunkt reif für einen Austritt aus dem vereinigten Königreich. Keystone

Ein No Deal wäre eine «Katastrophe» für Wirtschaft, Gesellschaft und den Friedensprozess, sagte die Chefin der republikanischen Partei Sinn Fein, Mary Lou McDonald. Auch Demonstranten stellten in Belfast klar: «Wir werden nicht zulassen, dass das passiert.»

Zentraler Streitpunkt ist die Grenze zu Irland

Grosser Streitpunkt beim Brexit ist der Backstop, den Johnsons Vorgängerin Theresa May und Brüssel vereinbart hatten. Die Garantieklausel soll eine harte Grenze mit Kontrollen in der Region verhindern. Johnson lehnt den Backstop aber als «Instrument der Einkerkerung» ab; er fürchtet eine zu enge Anbindung an die EU.

Neuer Brexit-Unterhändler in Brüssel

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Der neue britische Brexit-Chefunterhändler David Frost wird am Mittwoch in Brüssel erwartet. Geplant sind Treffen mit der Kabinettschefin von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Clara Martinez Alberola, und Generalsekretärin Ilze Juhansone.

Die Aussicht auf eine Rückkehr zu einer kontrollierten Grenze zu Irland schürt bei vielen die Angst vor neuen Spannungen in der Region. Mehr als 3600 Menschen kamen im Nordirland-Konflikt von 1968 bis 1994 ums Leben. Damals kämpften pro-irische Katholiken unter Führung der Untergrundorganisation IRA gegen protestantische, pro-britische Loyalisten. Im Kern ging es darum, ob der zu Grossbritannien gehörige Nordteil Irlands wieder mit der Republik im Süden vereinigt werden soll.

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