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Brexit-Treffen Gipfel der Ratlosigkeit

May verlässt den Brüsseler Gipfel wortlos – im Gepäck nur vage Bekenntnisse. Ein geordneter Austritt ist nicht wahrscheinlicher geworden.

Wer in der Sache keine Zugeständnisse macht, gibt eine wohlwollende Erklärung ab. Dieses Diplomatenkniffs bediente sich in der Nacht auf heute die EU am Brexit-Gipfel in Brüssel.

Das Austrittsabkommen mit Grossbritannien soll zwar nicht nachverhandelt werden, dafür legt die EU in einer Zusatzerklärung ein vages Bekenntnis ab: Der «Backstop», eine provisorische und in Grossbritannien umstrittene Lösung für das Nordirland-Problem, soll wirklich bloss ein Provisorium sein.

Mehr gab es nicht für May

Ganz Grossbritannien würde demnach vorübergehend Teil einer Zollunion mit der EU werden. Dadurch könnte auf Warenkontrollen an der Grenze zwischen Nordirland und Irland verzichtet werden. Damit wiederum würde das Karfreitags-Abkommen, das 1998 den nordirischen Bürgerkrieg beendete, eingehalten.

Es sei die «feste Entschlossenheit» der EU, heisst es in der Zusatzerklärung, «rasch an einem Folgevertrag» des Austrittsabkommens zu arbeiten. Mehr gab es nicht für die britische Premierministerin Theresa May.

«Heute nicht viel weitergekommen»

Die anderen Gipfelteilnehmer schoben freilich ihr die Schuld am mageren Gipfelresultat zu. Sie habe zu wenig deutlich gemacht, welche Zugeständnisse sie überhaupt ganz genau fordere. Deshalb habe man ihr auch nicht mehr entgegenkommen können. May verliess den Gipfel wortlos.

Die Kommentare der anderen Gipfelteilnehmer bewegten sich zwischen Unverständnis und Sarkasmus. «Wir müssen auch mal wissen, was genau London will», sagte der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel: «Wir sind heute nicht viel weitergekommen.»

Und Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker frotzelte: «Ich verstehe schon meine eigene Psyche nicht, wie soll ich die Psyche der britischen Abgeordneten verstehen?»

Kniffligstes Problem bleibt erhalten

Jedenfalls wird die nun vereinbarte Zusatzerklärung der britischen Premierministerin kaum helfen. Dass sie allein damit das Austrittsabkommen doch noch durchs britische Parlament bringen kann, ist unwahrscheinlich. Denn am kniffligsten Problem ändert sich nichts: ob sich die EU und Grossbritannien jemals auf eine Alternative zum «Backstop» werden einigen können, steht in den Sternen.

Und bis dahin – vielleicht für immer und ewig – bliebe Grossbritannien im «Backstop» gefangen, sprich: in einer Zollunion mit der EU, ohne das Recht, mit den USA, China und anderen Drittstaaten Freihandelsverträge abzuschliessen. So sieht es das Austrittsabkommen vor. Theresa May hat es gutgeheissen, der «Backstop» war teilweise sogar ihre Idee.

Spekulation über weiteren EU-Brexit-Sondergipfel

Doch im britischen Parlament scheint der Widerstand dagegen schier unüberwindbar. Bis am 21. Januar kann May das Austrittsabkommen dem britischen Parlament unterbreiten. Und bis dann kann sie mit der EU über Ergänzungen zum Abkommen verhandeln.

Bereits wird über einen weiteren Brexit-Sondergipfel Mitte Januar spekuliert. Wofür genau, steht allerdings in den Sternen. Mit jedem Tag wird das «No-Deal-Szenario», ein Austritt Grossbritanniens ohne Abkommen, ein bisschen wahrscheinlicher. Denn bis zum Brexit bleiben nur noch gut drei Monate: Am 29. März verlässt Grossbritannien die EU.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Hier finden Sie weitere Artikel von Sebastian Ramspeck und Informationen zu seiner Person.

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