Das traditionelle Lied «Rule Britannia» wird in der Royal Albert Hall jeweils von mehr als 100 Sängerinnen und Sängern intoniert. 5'000 Leute singen jeweils enthusiastisch die Songzeile «die Briten werden niemals Sklaven sein» mit und schwingen dazu britische Fahnen.
Dass diese Tradition Pandemie-bedingt gekippt werden sollte, glaubten in Grossbritannien die wenigsten. Vielmehr wurde kolportiert, der wahre Grund für diesen Entscheid bestehe darin, dass die BBC vor der politischen Korrektheit eingeknickt sei.
Dies führte zu einem Aufschrei quer durchs Land. Und selbst der Premierminister Boris Johnson sprach von einem Frevel an der britischen Kultur: «Wenn es tatsächlich stimmt – obwohl ich es immer noch nicht glauben kann – dass die BBC beschlossen hat, dass das Publikum «Rule Britannia» nicht mehr singen darf, wie es in diesem Land immer Tradition war, dann ist dies unglaublich.»
Es sei höchste Zeit aufzuhören, sich für Geschichte, Traditionen und Kultur zu schämen, und sich für die britische Vergangenheit selbst anzuklagen und zu rechtfertigen, so Johnson weiter.
«Briten werden nie Sklaven sein»
Singen kann Menschen und Nationen vereinen, Singen kann trösten, aber Strophen wie «Die Briten werden nie, nie, nie Sklaven sein» können auch verärgern: Insbesondere Menschen, deren Vorfahren Sklaven waren.
Es sei bemerkenswert, dass ein britischer Premierminister meine, dass man sich für den Sklavenhandel nicht schämen müsse, erklärte der schwarze Menschenrechtler Femi Ulu Walei: «Das Lied «Rule Britannia» wurde in einer Zeit geschrieben, als das Vereinigte Königreich aktiv im Sklavenhandel tätig war und davon profitierte, dass Menschen aus Afrika verschleppt und verkauft wurden.»
Weiter führte er im Morgenprogramm der BBC aus: «Die Briten besingen, dass man alle versklaven kann, aber sicher nicht die stolzen Kolonialherren. Unerträglich. Es ist als würde ein Vergewaltiger ein Lied darüber schreiben, dass man andere vergewaltigen darf – aber sicher nicht ihn. Würden Sie ein solches Lied singen?»
BBC krebste zurück
«Sicher nicht», meinten viele Hörerinnen und Hörer, «aber Rule Britannia unbedingt». Ob die BBC eigentlich völlig übergeschnappt sei, den Britinnen und Briten das Singen zu verbieten, fragten Leserbriefschreiber.
Die BBC krebste zurück und versprach, dass im kommenden Jahr die umstrittenen Strophen bestimmt wieder gesungen werden dürften. Dieses Zugeständnis reichte jedoch nicht aus, um die britische Öffentlichkeit zu beruhigen. Im Parlament wurden einmal mehr Stimmen laut, die der BBC den Geldhahn zudrehen möchten.
Darunter war auch der konservative Parlamentarier und Medienunternehmer Lord Michael Grade: «Die BBC hat jeglichen Kontakt zu ihrem Publikum verloren. Das zeigte sich während der Brexit-Debatte, während den letzten Wahlen und nun einmal mehr. Das Ganze ist ein Fehler und eine Idiotie.»
Erste Amtshandlung des neuen Direktors
Der Zufall wollte es, dass genau in den Tagen, als diese «Idiotie» das Land mitten in der Pandemie entlang von alten Brexit-Gräben erneut zu spalten drohte, mit Tim David bei der BBC ein neuer Direktor das Ruder übernommen hatte.
Als erste Amtshandlung hat er das Ruder herumgerissen und die Gemüter beruhigt. Morgen Samstag wird in der Royal Albert Hall und am Radio gesungen: Ohne Hemmungen, ohne Scham, ohne schlechtes Gewissen, dass man alle versklaven darf, ausser die Briten.