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Bücherverbote in den USA «Die Bücher bekommen durch die Verbote einen besonderen Reiz»

Mehr als 4000 Bücher wurden laut dem US-amerikanischen Autorenverband Pen allein 2023 in US-Schulbibliotheken verboten – ein Höchststand. Betroffen sind Werke, in denen es um Rassismus oder queere Menschen geht. Es trifft aber auch Bücher wie das «Tagebuch der Anne Frank» oder einen Comic über den Holocaust. Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen erklärt, was an den US-amerikanischen Schulen los ist. 

Elisabeth Bronfen

Kulturwissenschaftlerin und Autorin

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Elisabeth Bronfen ist emeritierte Professorin am Englischen Seminar der Universität Zürich, seit 2007 zudem Global Distinguished Professor an der New York University. Ihr Spezialgebiet ist die anglo-amerikanische Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts. Die Kulturwissenschaftlerin und Autorin hat zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze in den Bereichen Gender Studies, Psychoanalyse, Film und Kulturwissenschaften geschrieben.

Was steckt hinter der Zensur?

Elisabeth Bronfen: Politiker und Eltern möchten präziser kontrollieren, was ihre Kinder im Schulunterricht lesen und was ihnen in Bibliotheken zur Verfügung steht. Einige Eltern sind im Streit mit den Lehrpersonen, die den Kindern etwas anderes unterrichten, als was die Eltern gerne möchten. Deswegen möchten sie bestimmte Bücher wieder verbieten.

Die Verbote machen das Lesen auf einmal wieder zu etwas ganz Wichtigem.

Gibt es ein erkennbares Muster bei den Büchern, die verboten werden?

Es trifft vor allem Bücher aus dem Bereich der «Queer Theory». In diesen Büchern geht es um andere Formen der Sexualität als die heterosexuellen Paarbeziehungen. Es geht auch um die Vorstellung von dem, was ein Mädchen oder ein Junge sein soll und um die sexuelle Fluidität. Der andere Bereich sind ethnische Zuschreibungen, also alles im Umfeld von People of Color oder jüdischen Menschen.

Frau kniet in einer Buchhandlung vor Bücherregal.
Legende: In amerikanischen Schulbibliotheken werden immer mehr Bücher verboten. imago images/Beata Zawrzel (05.07.2024)

Lassen sich die Menschen das gefallen? Gerade für junge Menschen sind doch Verbote erst recht interessant.

Die Bücher bekommen durch die Verbote einen besonderen Reiz. Einige Buchläden legen die Bücher unter dem Label «verbannte Bücher» zum Verkauf aus. Viele Menschen kaufen sie dann extra. Auch alternative Buchhäuschen leihen diese Bücher aus. Die Verbote machen das Lesen auf einmal wieder zu etwas ganz Wichtigem.

Beobachten Sie ähnliche Tendenzen auch in anderen Ländern?

Solche Tendenzen kann man in Russland und China feststellen, besonders bei Themen wie Gender oder LGBTQ. Das ist also keine explizit US-amerikanische Problematik. Aber dort fällt es besonders auf, weil das Land behauptet, es sei eine Demokratie.

Das Gespräch führte Radka Laubacher.

Rendez-vous, 16.08.2024, 12:30 Uhr ; 

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