Der SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier ist am Sonntag mit grossem Mehr zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden. Mitte März löst er den scheidenden Bundespräsidenten Joachim Gauck ab. Steinmeiers Partei – die SPD – befindet sich derzeit in einem Umfragehoch: Sie hat erstmals seit 2012 wieder die 30-Prozent-Marke überschritten.
SRF News: Bringt Steinmeiers Wahl der SPD noch mehr Zuspruch von der Wählerschaft?
Katrin Brand: Ich glaube es handelt sich weniger um einen Steinmeier- als um einen Martin-Schulz-Faktor. Dieses Umfragehoch entstand, als Schulz zum Kanzlerkandidaten der SPD gekürt wurde. Da brach die SPD in Begeisterung aus. Einerseits vor Erleichterung, dass sie die Personalie Sigmar Gabriel los war, andererseits weil Schulz eine sehr beliebte Figur innerhalb der SPD ist. Er ist wie er ist und bietet der Kanzlerin Paroli mit seiner Leidenschaft und ungestümen Art. Das kommt bei den Deutschen offensichtlich gut an. Steinmeier dagegen ist zwar auch sehr beliebt. Aber ich glaube, er wurde gar nicht unbedingt als Politiker der SPD wahrgenommen, sondern als Aussenminister, der durch die Welt reist und versucht, Probleme zu lösen.
Die SPD stellt mit Schulz also einen Kanzlerkandidaten, der vielerorts ankommt. Mit Steinmeier stellt sie auch noch den Bundespräsidenten. Eigentlich beste Voraussetzungen für die Bundestagswahlen im September.
Sollte man meinen. Aber das Problem der SPD ist, dass sie in den gut letzten vier Jahren dieser Bundesregierung zwar viel geschafft hat, es aber tragischerweise nicht für sich hat verbuchen können: Sie hat einen Mindestlohn eingeführt, bei den Renten nachgebessert, sich um die gleiche Bezahlung für Frauen gekümmert, dafür gesorgt, dass die Familien besser gestellt werden.
Die sozialen Erfolge der SPD sind bei den Wählern nicht angekommen. Das ist für eine Partei, die sich als Volkspartei versteht, tragisch.
Trotz all dieser sozialdemokratischen Erfolge ist sie monatelang im Umfragetief hängen geblieben. Sie verbuchte zum Teil Werte von unter 20 Prozent. Für eine Partei, die sich als Volkspartei versteht, ist das eine Katastrophe. Die Wähler und Wählerinnen haben die Erfolge der SPD irgendwie nicht wahrgenommen. Deshalb kann es sein, dass auch die Personalie Steinmeier an den Menschen vorbeigeht.
Aber trotzdem ist SPD jetzt im Umfrage-Hoch. Wie fest gerät damit die grössere Regierungspartnerin – die CDU – unter Druck?
Die CDU und vor allem auch ihre Schwesterpartei, die CSU, bemühen sich, darzustellen, dass sie keine Angst vor Martin Schulz haben. Sie betonen das so oft, dass wir Berliner Beobachter inzwischen vermuten, dass sie tatsächlich ein bisschen Angst vor ihm haben. Die Kanzlerin hat sich mit Mühe durchgerungen, nochmals anzutreten. Sie hat es auch eher müde als kampfeslustig begründet, dass sie für eine vierte Amtszeit kandidiert. Martin Schulz dagegen kommt als Neuling gut gelaunt, brennend vor Ehrgeiz und greift die matt wirkende Kanzlerin auf einem Feld an, auf dem die CDU-CSU nicht viel zu bieten hat – die soziale Gerechtigkeit. Die Unruhe ist in diesen Parteien schon erheblich, auch wenn es nicht zugegeben wird.
Gelassen bleibt die CDU angesichts der Erfolge der SPD also nicht. Aber wirklich gefährlich werden die Sozialdemokraten den Christdemokraten auch nicht?
Noch nicht. Wir haben erst Februar. Die Weltlage ist unruhig. Wir wissen nicht, was in den USA noch passiert, ob die Franzosen tatsächlich Marine Le Pen zur Präsidentin wählen werden, wie sich die Flüchtlingslage in Nordafrika entwickelt. Wir wissen nicht, ob es noch einen weiteren islamistischen Anschlag in Berlin geben wird. Dann würde dieses Land nochmals ganz anders durchgeschüttelt werden. Wer jetzt auf soziale Gerechtigkeit setzt, kann Glück haben, dass dies das kommende Thema der Wahl wird. Wer auf innere Sicherheit setzt wie die CDU und die CSU, kann damit vielleicht Erfolge verbuchen, wenn dies das Thema wird, das die Wähler bewegt. Es gibt noch so viele unberechenbare Faktoren, dass die Kanzlerin die Wahl noch nicht verloren geben muss.
Was ist in nächster Zeit von CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel zu erwarten und wie positioniert sie sich?
Sie hat die Strategie, dass sie den Namen ihres Kontrahenten nicht ausspricht. Sie hat den Namen Martin Schulz im Zusammenhang mit Gefahr noch nicht in den Mund genommen. Sie wird ihre Fäden innerhalb Europas weiterknüpfen und versuchen, Europa zusammenzuhalten. Und sie wird mit der CSU auf ein gemeinsames Wahlprogramm hinarbeiten und überlegen, was sie den Wählern noch anbieten kann nach all diesen Jahren, die sie das Land schon regiert. Sie braucht Themen, Inhalte und mehr Begeisterung.
Schulz wird auf jeden Fall dafür sorgen, dass die Kanzlerin aus ihrem Schneckenhaus kommt.
Fazit: Die SPD stellt den neuen Bundespräsidenten, die Partei ist im Umfragehoch. Was heisst das für die Bundestagswahlen in sieben Monaten?
Der Wahlkampf wird bestimmt interessant. Denn Schulz ist mit seiner impulsiven Art kaum zu stoppen, wenn er auf sein Lieblingsthema Europa oder soziale Gerechtigkeit kommt. Er wird auf jeden Fall dafür sorgen, dass die Kanzlerin aus ihrem Schneckenhaus herauskommt. Aber über den Ausgang der Wahl werde ich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Prognose abgeben.
Das Gespräch führte Susanne Schmugge.