Chinas Streitkräfte üben eine Blockade des aus Pekings Sicht abtrünnigen Taiwans. Was dahintersteckt, weiss Ostasien-Kenner Fabian Kretschmer.
SRF News: Warum findet das Grossmanöver gerade jetzt statt?
Fabian Kretschmer: Vor rund zwei Wochen hat US-Präsident Donald Trump eine riesige Waffenlieferung im Umfang von elf Milliarden Dollar nach Taiwan genehmigt. Dadurch fühlt sich Peking provoziert. Im Grunde rüstet Taiwan dabei aber nur so weit auf, um sich verteidigen zu können – während China sein Rüstungsbudget seit über 30 Jahren jedes Jahr um mehr als sieben Prozent steigert. China scheint jetzt testen zu wollen, wie Trump auf das Manöver reagiert.
China simuliert einen Krieg: Taiwan wird von der Aussenwelt abgeschnitten.
Seit 2022, als die damalige Speakerin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Taiwan besuchte und China damit erzürnte, gab es bereits sechs chinesische Grossmanöver. Wie haben sich diese Manöver verändert?
Zum einen finden sie zunehmend öfter statt, und tendenziell werden die Manöver immer grösser. Wegen des aktuellen chinesischen Manövers müssen fast 900 Flüge gestrichen oder verschoben werden, weil der Luftraum rund um Taiwan gesperrt werden muss. Davon sind über 100’000 Passagiere betroffen. Zudem gehen Militärexperten davon aus, dass China die Manöver quasi zum Normalzustand machen will. Dabei wird im Grunde ein Krieg simuliert: Taiwan wird von der Aussenwelt abgeschnitten.
Wie wahrscheinlich ist es, dass China tatsächlich bald eine Invasion in Taiwan versuchen wird?
Derzeit scheint das unwahrscheinlich – vor allem, weil es militärisch extrem schwierig ist, eine Insel einzunehmen. Zudem ist die Frage völlig offen, ob die USA in einem solchen Fall eingreifen würden. China führt aber schon jetzt einen hybriden Krieg, bei dem es immer wieder zu kleineren Eskalationen kommt. Allein 2025 hat Taiwan über 3600 Kriegsflugzeuge aus China registriert, die um die Insel herumgeflogen sind.
Peking versucht, eine politische Krise in Taiwan zu provozieren.
Es gibt auch einen Informationskrieg: China bezahlt Influencer für Desinformationskampagnen, man versucht, eine politische Krise in Taiwan zu provozieren. Es sieht danach aus, als ob China darauf hinarbeitet, diesen Krieg so zu führen, dass kein einziger Schuss abgegeben werden muss, man aber Taiwan irgendwann trotzdem erobern wird.
Gelingt es China denn, die Bevölkerung Taiwans zu spalten?
Zum Teil schon. Die Gesellschaft in Taiwan ist ohnehin sehr polarisiert. Die einen wollen einen harten Kurs gegenüber China, andere wollen eine Aussöhnung. Letztere sagen, man müsse doch miteinander klarkommen, man sollte gemeinsam den Handel forcieren und sich nicht gegenseitig provozieren. Es gibt also eine Polarisierung in der Frage, wie man mit China umgehen soll. Aber es gibt in Taiwan eine grosse Einigkeit darin, dass man nicht von der kommunistischen Parteiführung in Peking regiert werden will.
Man sieht am Beispiel Hongkong, wie es wäre, wenn man von China regiert würde.
Warum nicht?
In Taiwan war nach 1949 jahrzehntelang eine Militärdiktatur an der Macht – mit brutalen Repressionen. Mittlerweile ist die Insel eine liberale Demokratie mit sehr vielen Individualrechten und einer lebhaften Pressefreiheit. Das alles hat man sich hart erkämpft und will es sich nicht mehr nehmen lassen. Man sieht am Beispiel Hongkong, wie es wäre, wenn man von China regiert würde. Dort wurde die Zivilgesellschaft erodiert, es gibt in Hongkong heute keine Opposition mehr. Dies würde auch Taiwan drohen.
Das Gespräch führte Matthias Kündig.