In der Schweiz würde man Gao Li Cai eine «Prepperin» nennen – jemand, der sich auf den Katastrophenfall vorbereitet. In Taiwan gibt es keine direkte Übersetzung des Begriffs. Dabei scheint der Ernstfall dort realistischer als bei uns: Neben Erdbeben und Taifunen droht insbesondere ein Krieg mit Festlandchina.
Ausgebuchte Erste-Hilfe-Kurse
Auf all diese Szenarien will die 30-jährige Büroangestellte Gao Li Cai vorbereitet sein. Bei einer Abendveranstaltung in der Hauptstadt Taipeh stellt sie Leuten aus dem Quartier ihren Notfallrucksack vor. Auf einem Tisch breitet sie den Inhalt aus: Taschenlampe, Messer, Karten, Erste-Hilfe-Set, lang haltbare Verpflegung – und mehr.
Wegen der zunehmenden Spannungen mit China hat sie einen Zivilschutzkurs bei einer privaten Organisation besucht. Das habe sie motiviert, den Notfallrucksack zusammenzustellen.
Private Zivilschutz- und Erste-Hilfe-Kurse verzeichnen in Taiwan seit einigen Jahren wachsenden Zulauf. An einem Nachmittag übt man das Abbinden stark blutender Wunden oder das Bergen von Verletzten. Mancherorts gibt es sogar eine Lektion in militärischen Strategien.
Säbelrasseln verunsichert …
Insbesondere die Kriege in der Ukraine und in Gaza haben dazu geführt, dass solche Kurse häufig ausgebucht sind in Taiwan. Hinzu kommt, dass die Taiwanerinnen und Taiwaner im Januar 2024 einen noch Peking-kritischeren Präsidenten gewählt haben als es die Vorgängerin bereits war.
Seither hat sich das Verhältnis zwischen Taipeh und Peking weiter verschärft. Chinas Militär simulierte mehrfach eine Invasion Taiwans. Das taiwanesische Militär trainiert in diesen Tagen die Verteidigung.
Trotz des Säbelrasselns gibt es derzeit keinen Hinweis für eine unmittelbar bevorstehende Eskalation. Doch die Militärübungen verunsichern viele Menschen.
... aber ist auch gut fürs Geschäft
Das zeigt sich etwa beim Jungunternehmen «Sanshi Gaohao» im Städtchen Yilin. Zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen hier Notfall-Kits in Serienproduktion zusammen.
Wundkompressen, Taschenlampen, Wasserreinigungstabletten werden in Kartons verpackt und für den Versand vorbereitet. Geschäftsleiterin Bonnie sagt: «Der israelisch-palästinensische Konflikt war ein Treiber, genauso wie es Militärübungen in und um Taiwan sind. Wenn die Militärmanöver häufiger werden, steigen unsere Aufträge.»
-
Bild 1 von 2. Angestellte von «Sanshi Gaohao» machen die Notfall-Kits für den Versand parat. Bildquelle: SRF / Samuel Emch.
-
Bild 2 von 2. Die Bestellungen häufen sich, deshalb wächst das Lager an Erste-Hilfe-Sets und Trockenfutter bei «Sanshi Gaohao». Bildquelle: SRF / Samuel Emch.
Planen für den Ernstfall
Alles, was zum Notfall-Kit gehört, kommt in wasserdichte Dry Bags, die man in der Schweiz etwa vom Schwimmen in der Aare, im Rhein oder in der Limmat kennt. Hier werden die Beutel als potenziell lebensrettendes Utensil verschickt.
Taiwanerinnen und Taiwaner planen vorausschauend und bereiten sich auf Szenarien vor, deren Eintritt eine geringe Wahrscheinlichkeit haben.
Zwar sind diese Kits nicht explizit für den Kriegsfall gedacht, sondern sollen auch bei Naturkatastrophen wie schweren Erdbeben helfen. Doch laut Bonnie beschäftigen sich viele ihrer Kundinnen und Kunden intensiv mit der Sicherheitslage an der Taiwanstrasse. «Sie planen vorausschauend und bereiten sich auch auf Szenarien vor, die nur eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben.»
Auswandern oder nicht?
Solche Vorbereitung seien sinnvoll, schreibt Yu-cheng Hsieh in seinem Ratgeber. In einem Buchladen im Zentrum von Taipeh steht er vor einem Regal voller Bücher mit Modellen, Analysen und Szenarien zu möglichen Eskalationen in der Region.
«Die Bedrohung durch einen Krieg ist ständig um uns herum», sagt Yu-cheng Hsieh. Für viele Bürgerinnen und Bürger stellen sich deshalb ganz praktische Fragen: «Sollen wir unsere Kinder ins Ausland schicken? Wollen wir auswandern oder bleiben? Und wie sollen wir unser Geld investieren?»
Ungewisse Zukunft
Laut Yu-cheng Hsieh unterscheidet sich sein Buch von anderen, weil es eine Hilfestellung von Bürgerin zu Bürger biete – im Gegensatz zu den meisten anderen Büchern, die von Militärexperten und Analystinnen verfasst seien.
Wenn wir uns auf einen Krieg vorbereiten, wird es nicht passieren. Wenn wir uns nicht vorbereiten, wird es passieren.
Der Anstoss für seine Recherchen und das Buch war die Geburt seines Sohnes: «Damit sind in den letzten Jahren viele Fragen dringlicher geworden – zum Beispiel, ob wir ihm schon im Kindergartenalter Englisch beibringen sollen. Oder wann wir planen, ihn ins Ausland zu schicken. Sollen wir ihn zum Studieren in ein anderes Land schicken oder schon eher, um der Bedrohung durch die Kommunistische Partei Chinas zu entkommen?»
Vorbereitung soll Krieg vermeiden
Der Buchautor findet: Zivile sowie militärische Vorbereitungen seien essenziell – gerade um eine chinesische Invasion zu verhindern. «Es gibt eine Dynamik in dieser Frage. Wenn wir uns vorbereiten, wird es nicht passieren. Wenn wir uns nicht vorbereiten, wird es passieren», ist Yu-cheng Hsieh überzeugt.
Je besser Taiwan vorbereitet ist, desto grösser ist die abschreckende Wirkung auf China, so die strategische Überlegung. So soll es bei den militärischen Übungen in der Taiwanstrasse bleiben und die Notfall-Kits sollen niemals zum Einsatz kommen.