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Codogno und das Coronavirus Ein Leben in Isolation und Ungewissheit

In Codogno in der Provinz Lodi in der Lombardei können hundert Meter Entfernung zu verschiedenen Kontinenten werden.

Roberta nimmt es noch mit Humor: die Glückwünsche zum 18. Geburtstag ihrer Schwester hat sie per Video-Anruf überbracht. «Ich kam mir vor, wie die Schwester aus Amerika. Dabei wohnen wir nur ein paar Strassen entfernt.

Leben in Isolation

In Codogno in der Provinz Lodi in der Lombardei können hundert Meter Entfernung zu verschiedenen Kontinenten werden. Die 30-Jährige lebt seit dem Wochenende in Isolation, zu Hause – ohne jeden Kontakt mit Familienangehörigen oder Freunden. Die Gesundheitsbehörde der 15'000 Einwohner-Stadt hatte ihr dazu geraten. Denn Roberta war im direkten Kontakt mit dem erkrankten Vater einer Freundin. Dieser ist nachträglich positiv auf das Coronavirus getestet worden.

Carabinieri steht an Strassenkreuzung mit Schildern.
Legende: Ein Carabinieri überprüft die Einfahrt in das unter Quarantäne liegende Gebiet im Norden Italiens. Keystone

Sie muss nun zwei Wochen zu Hause ausharren. Untersucht würde sie nur, falls die für das Virus typischen Symptome auftreten. Das Lebensnotwendige wird ihr von Freunden und Verwandten vor die Haustüre gestellt.

Das Telefon ist das einzige Mittel, um Kontakt zur Aussenwelt zu haben. Ich hoffe, alles wird gut. Selbstdisziplin ist jetzt wichtig und auch das Vertrauen auf unsere Institutionen.
Autor: Roberta Einwohnerin von Codogno

Wie Roberta harren insgesamt 50'000 weitere Italienerinnen und Italiener aus. Sie leben in den bislang elf Gemeinden in der Lombardei und im Veneto, die völlig von der Aussenwelt abgeschnitten wurden.

Leben in der Geisterstadt

Ahmed, ein gebürtiger Tunesier und ebenfalls aus Codogno, dokumentiert den Alltag. Schlangen vor den zwei einzig geöffneten Supermärkten und vor der Apotheke. «Codogno ist wie eine Geisterstadt. Wer sich auf die Strasse traut, läuft nur mit einer Atemschutzmaske herum. Keiner nähert sich dem oder der anderen auf weniger als zwei Meter.»

Leere Strassen in Codogno
Legende: Leere Strassen und geschlossene Geschäfte in Codogno. SRF / Philipp Zahn

Der 33-Jährige sorgt sich weniger um sich, als um seinen zweieinhalb Jahre alten Sohn. Dieser hat Fieber. Der Hausarzt riet, noch zwei Tage abzuwarten und erst dann den Krankenwagen zu rufen. Dieser würde dann dem kleinen Jungen einen Halsabstrich machen – als Test wegen des Virus.

Alle zwanzig Minuten hört man jetzt die Sirenen. Schon wieder eine Ambulanz. Das macht ein ungutes Gefühl. Heisst das, jetzt werden immer mehr Fälle akut?
Autor: Ahmed Einwohner von Codogno

Wie mit einem Brennglas schaut ganz Italien auf dieses Städtchen. Hier soll sich im örtlichen Spital das Virus wie ein Lauffeuer ausgebreitet haben – als bislang einziger Infizierungsherd im ganzen Land. Die Auswirkungen sind bislang noch nicht absehbar. So treten Coronavirus-Fälle jetzt auch im Süden Italiens oder im nahen Ausland auf.

Nicht alle werden getestet

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Im Unterschied zu Medienberichten wird in Codogno nicht die gesamte Bevölkerung flächendeckend auf das Coronavirus getestet. Bislang nur all jene, die klare Symptome wie starkes andauerndes Fieber und Atemprobleme aufweisen.

Kein Wunder, denn Codogno gehört zum wirtschaftlichen Speckgürtel zwischen der Lombardei und der Emilia-Romagna. Hier haben international tätige Logistik-Unternehmen, Autozulieferer und andere metallverarbeitende Betriebe, aber auch Lebensmittelhersteller ihren Sitz.

Leben mit den Sorgen

Deshalb machen sich auch viele im benachbarten Piacenza Sorgen. Die 100'000 Einwohner-Stadt ist nur durch den Fluss Po von den abgesperrten Gemeinden getrennt. Piacenza bildet das Zentrum dieses Grossraums mit einem – bis zur Quarantäne – intensiven Personen- und Warenverkehr. Paola (34) ist sich sicher, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Zahl der Infizierten in Piacenza sprunghaft ansteigt. «Viele aus Piacenza arbeiten in Codogno oder den anderen abgeschlossenen Städten. Umgekehrt kommen viele von dort auch zum Arbeiten hierher.»

Doch sollte Piacenza auch zur Sperrzone erklärt werden, würde Italien und seine Behörden vor neue unlösbare Probleme gestellt werden. «Man kann ja nicht 100'000 Menschen völlig einsperren», meint Paola, die selbst auch nur noch von zu Hause arbeitet.

Alle haben deshalb nur eine Hoffnung: dass die Zahl der Neu-Infektionen nicht mehr so rasend wie am vergangenen Wochenende ansteigt. Roberta in Codogno hofft, nach zwei Wochen der selbst auferlegten Isolation dann endlich ihr Haus wieder verlassen zu können.

Tagesschau, 24.02.2020, 19.30 Uhr; frol;gotl

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