Zum Inhalt springen

Corona bei Regierungschefs Herrschen aus dem Homeoffice – geht das gut?

Das Chefbüro ist verwaist – in London, Berlin oder Ottawa. Das habe Folgen für die Zusammenarbeit über Grenzen hinweg, sagt ein Experte.

Der britische Premierminister Boris Johnson hat sich mit dem Coronavirus angesteckt. In gewohntem Selbstbewusstsein hat er keine Zweifel, dass er trotzdem sein Land formidabel durch die Krise steuern könne – dank der modernen Technologie.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hingegen reagiert auf ihrer ersten virtuellen Pressekonferenz auf die neue Form des Arbeitens eher sauertöpfisch: «Wir haben uns für dieses ungewöhnliche Format entschieden, weil ich ja bekanntermassen in Quarantäne zuhause bin.» Und Kanadas Premier Justin Trudeau räumt offen ein, die jetzige Regierungsweise behage ihm nicht, ja, sie sei gar frustrierend. Schliesslich seien Menschen soziale Wesen.

Gefahr von verzögerten Entschlüssen

Für Professor Jussi Hanhimaki, Experte für internationale Beziehungen am Genfer Graduate Institute, lassen sich zwar die aktuell wichtigsten politischen Entscheidungen fällen, selbst wenn sich die Entscheidungsträger nicht im selben Raum aufhalten. Doch die Schwierigkeiten würden immer offensichtlicher werden, je länger die medizinische Situation direkte Begegnungen unter Politikerinnen und Politikern verhindere.

Das fängt schon an, wenn Regierungschefs im Heimbüro getrennt sind von ihren oft riesigen und wichtigen Stäben und ihren Ministerkabinetten. Denn diese sorgen für die Um- und Durchsetzung politischer Entscheidungen. Funktioniert diese Maschinerie nicht reibungslos, sondern nur noch stotternd, würden Entschlüsse verzögert, falsch oder gar nicht umgesetzt.

Die Kaffeepausen und Diners fehlen

Eine Kabinettssitzung oder sogar ein politisches Gipfeltreffen lassen sich natürlich auch über Video abhalten. Doch oft passiere, so Hanhimaki, das Wesentliche gar nicht an solchen formellen Treffen von jeweils maximal ein paar Stunden. Wichtiger sei das, was davor und danach passiere: in Vieraugengesprächen, in der Kaffeepause, bei Mittagessen und Diners.

All diese informellen Treffen fielen nun weg. Doch genau dort würden neue Ideen geboren oder Kompromisse geschmiedet. Ein Zeichen dafür: Die zahlreichen Videogipfel der vergangenen Wochen in der EU, bei den G7- oder den G20-Staaten brachten kaum Substanz.

Klima der Distanzierung wird geschaffen

Politik ist ein Beziehungsgeschäft. Reden steht im Zentrum. Verhandeln ist unabdingbar. Sich von Angesicht zu Angesicht treffen nötig. Die Gruppendynamik präge Entscheidungen, national und international. Dazu kommt, so Professor Hanhimaki: Wenn sich Staats- und Regierungschefs nicht träfen, gerate die länderübergreifende Zusammenarbeit unter die Räder.

Er spricht von einem Klima der Distanzierung, auch inhaltlich. So sei offenkundig: Die Mächtigen weltweit kümmerten sich momentan fast nur noch um die Geschehnisse im eigenen Land. Es fehle völlig an internationaler Koordination. Genau das verschärfe die Krise – medizinisch und wirtschaftlich. Herrschen aus dem Homeoffice ist also möglich, zumindest fürs Nötigste. Doch die Nachteile wiegen schwer.

Rendez-vous vom 31.3.2020

Meistgelesene Artikel