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Corona-Impfzertifikat der EU Zu hohe Erwartungen an den «Freipass für den Ballermann»

Auf den ersten Blick besticht die Idee: Wer sich gegen das Covid-19-Virus impfen lässt, soll Ferien machen können, wo und wie das Herz begehrt. Wer aber etwas weiterdenkt, erkennt rasch, dass sich hinter dem Impfpass für freies Reisen und wiedergewonnene Lebensfreuden ein komplexer Katalog von Grundsatzfragen eröffnet. Antworten fehlen weitgehend.

Zweiklassengesellschaft

Die Einführung eines Zertifikates relativiert nämlich die freie Wahl, sich impfen zu lassen. Die EU-Kommission hat darum aus dem Corona-Impfpass ein neutrales Gesundheits-Zertifikat werden lassen. Es kann darin auch «nur» festgehalten werden, dass die Trägerinnen einen negativen Corona-Test ausweisen können oder in Folge einer Erkrankung Corona-Antikörper in sich tragen.

Trotzdem schafft ein solches Zertifikat de facto zwei Klassen von Personen: Menschen, die keine Bedrohung mehr für die Gesellschaft darstellen und Menschen, die als potenzielle Superspreader gelten.

Es ist problematisch, wenn ein Zertifikat an Grundrechte gekoppelt wird, nämlich sich in Europa frei bewegen zu können. Es passt auch schlecht zum Versprechen, dass Impfen in Europa freiwillig sein soll.

Impfzertifikat diskriminiert die Jungen

Zumal wir ja noch auf lange Sicht nicht frei wählen können, ob wir uns impfen lassen wollen. Bis weit in den Sommer hinein werden Impfdosen ein rares Gut bleiben. Europas Impfkampagne kennt bisher vor allem grosse Verzögerungen.

Das Impfzertifikat diskriminiert zudem im besonderen Masse die jüngsten Generationen in Europa. Schulabgänger, Studentinnen und Lehrlinge werden die Letzten sein, die sich vor den Impfzentren in die Reihe stellen dürfen, während Pensionierte im Camper frei durch Europa reisen dürfen. Das ist falsch verstandene Solidarität.

Es stellen sich viele Fragen

Und dann stellt sich die Frage, ob denn Impfungen mit chinesischen oder russischen Impfdosen, die in Europa gar nicht zugelassen sind, von griechischen oder spanischen Zollangestellten bei der Einreise anerkannt würden. Dann wären nämlich EU-Bürger aus Ungarn oder Tschechien nur zweite Klasse. Kompliziert.

Das zu bestimmen, zu kontrollieren und durchzusetzen, sollte nicht ohne eine Debatte in nationalen Parlamenten erfolgen. Notrecht hat hier keinen Platz. Reise-Privilegien verbunden mit einem EU-weiten Zertifikat kann es erst dann geben, wenn Chancengleichheit garantiert ist. Wer glaubt, das sei im Juni der Fall, tut gut daran auf die vergangenen vier Wochen zurückzublicken. Sie waren voller planerischen Unsicherheiten.

Je später das Zertifikat aber kommt, je mehr Menschen sich impfen lassen, je mehr Zertifikate ausgestellt sind, desto überflüssiger wird das Zertifikat. Paradox. Darum sollten wir vom Corona-Impfpass, der nur noch ein unverbindliches Gesundheits-Zertifikat sein darf, nicht allzu viel erwarten. Schon gar nicht, dass er Sommerferien am Ballermann auf Mallorca garantiert.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

SRF 4 News, 17.3.2021, 15:00 Uhr

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