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Die «Querdenker»-Bewegung als Herausforderung für Politik und Gesellschaft
Aus SRF 4 News aktuell vom 23.11.2020. Bild: Keystone
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Corona-Proteste in Deutschland Politphilosophin: «Die Bewegung wird von Extremen benutzt»

Aus Protest gegen die Corona-Politik sind in Deutschland am Wochenende wieder tausende Menschen an «Querdenker»-Demonstrationen gegangen. Wie bei früheren Protesten demonstrierten besorgte Bürgerinnen und Bürger neben Anhängern von Verschwörungstheorien und Rechtsextremen. Die Gesellschaft müsse eine Antwort auf das Phänomen finden, sagt Politphilosophin Katja Gentinetta.

Katja Gentinetta

Katja Gentinetta

Politphilosophin

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Die promovierte Politphilosophin ist unter anderem als Publizistin und Dozentin tätig. Sie moderiert die Talksendung «NZZ Standpunkte» und lehrt an verschiedenen Schweizer Universitäten. Von 2011 bis 2014 moderierte sie die Sendung «Sternstunde Philosophie» auf SRF.

SRF News: Für wie gefährlich halten Sie diese andauernden Proteste in Deutschland?

Katja Gentinetta: Man kann von einem «bunten Haufen» sprechen, auch ich habe diesen Zwiespalt. An den Demonstrationen versammeln sich auch Bürgerinnen und Bürger, denen die Massnahmen zu weit gehen oder Gastronomen und Geschäftsinhaber, die ihre Existenz bedroht sehen. Das sind legitime Anliegen.

Auf der anderen Seite versammeln sich Leute, die Verschwörungstheorien anhängen und das Coronavirus und die Massnahmen für dunkle Machenschaften halten. Sie stellen das System und die Ordnung infrage – das ist gefährliche Teil der Bewegung.

Also gefährden die Proteste den Zusammenhalt der Gesellschaft?

In der Tat. Sie sind auch gefährlich für die öffentliche Ordnung und die Anerkennung demokratischer Institutionen und Prozesse generell. Sie stellen genau das infrage, was ihnen Demokratien bieten. Nämlich, dass Institutionen versuchen, vernünftige Entscheide zu fällen und diese Massnahmen durchzusetzen.

Es sind aber auch Menschen, die sich missverstanden fühlen. Haben Politik und Gesellschaft zu wenig gemacht, um sie zu erreichen?

Die Schwierigkeit bei den Massnahmen besteht darin, dass man sich fragen muss, wie weit man gehen soll. Wenn wir die aktuellen Zahlen anschauen, steht die Schweiz bezüglich Betroffenheit an drittoberster Stelle, Deutschland ist sehr weit unten.

Die Bewegung wird von den Extremen benutzt.

Trotzdem erlebt Deutschland einen Teil-Lockdown. Hier können existenzielle Sorgen entstehen. Ich verstehe, dass man sich dagegen wehrt und fragt: Muss das denn so drastisch sein?

An diesen Demos wird zuweilen ausgerechnet von Menschen aus dem rechtsextremen Spektrum vor einem «totalitären Staat» gewarnt. Das hat schon etwas Absurdes?

Ja, das geht ganz klar zu weit. Auch, dass diese Demonstrationen für sich die Parallele zu den Montagsdemonstrationen beim Sturz des DDR-Regimes in Anspruch nehmen. Das ist kommunikativ zwar äusserst geschickt, hat aber nichts damit zu tun, was sie wirklich wollen.

Der deutsche Verfassungsschutz schätzt einen Teil der Leute, die an diesen Demonstrationen teilnehmen, ganz klar als gefährlich ein.

Die Demonstrationen sind das eine. Die Erstürmung des Reichstags, ein Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut, eine Sprengstoffexplosion in Berlin-Mitte – diese Vorfälle machen klar, dass die Bewegung von den Extremen benutzt wird. Sie benutzen jede Bewegung, um sich gewalttätig in Szene zu setzen.

«Einfach Kopfschütteln geht aber nicht (…) Nehmt die Gefahr ernst!», schreibt Goran Buldioski von den Open Society Foundation in einem Gastbeitrag der Online-Ausgabe der «Zeit». Er adressiert dabei die Verschwörungstheorien, die an den Protesten geäussert werden. Sehen Sie das auch so?

Immerhin schätzt der deutsche Verfassungsschutz einen Teil der Leute, die an diesen Demonstrationen teilnehmen, ganz klar als gefährlich ein. Das ist die Wachsamkeit, die ich mir erhoffe. Ich weiss, welche Auswirkungen diese Verschwörungstheorien haben und wie breit sie derzeit um sich schlagen, in den USA, aber auch bei uns, überall. Wir wissen aber noch nicht, wie wir damit umgehen müssen. Das ist für mich die grösste Frage. Als Gesellschaft müssen wir noch lernen, damit besser umzugehen.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

SRF 4 News, 23.11.2020, 10:39 Uhr;

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79 Kommentare

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  • Kommentar von Mihai Löchli  (Siebenbürgen)
    Wenn ein System mit Antifa Gegendemonstranten verteidigt werden soll, dann hat dieses System ein grosses Problem.
    1. Antwort von Albert Planta  (Plal)
      Typisch Whataboutism!
  • Kommentar von Markus Gringer  (Gringer)
    Querdenker fordern unter anderem die direkte Demokratie und eine Politik, die sich am Wohl der Menschen orientiert, statt am unstillbaren Hunger der Finanz- und Konzernlobby. Frau Gentinetta steht für eine möglichst liberale Wirtschaft ein, in der Wettbewerb und Wachstum die Lösung für alle Probleme ist – ungeachtet zunehmend schmerzhafter Konsequenzen für Mensch und Umwelt. Dass sie durch humanistische Forderungen IHR bewährtes System in Gefahr sieht, ist nachvollziehbar.
    1. Antwort von Albert Planta  (Plal)
      Das ist alles gut und recht, nur dürfen sich solche " Querdenker" nicht von extremen Gruppierungen, gleich welcher Couleur instrumentalisieren lassen.
    2. Antwort von Dagmar Knell  (DagmarKnell)
      Tun sie auch nicht, keine Sorge. Oder instrumentalisieren sich gleich Bewegung von Black Lives Matter oder fridays for future instrumentalisiert. Nur weil dort ebenso Extremisten mitmarschieren. Wohl auch nicht, oder
  • Kommentar von Werner Gürr  (FrMu)
    Wenn es eine Demo gibt, bei der es um echte Anliegen geht, welche aber der Machtstruktur nicht in den Kram passen, wird die Demo (&implizit die Anliegen) wie folgt diskreditiert: Man schickt ein paar Randalierer hin und/oder fokussiert die Berichterstattung auf diese, blendet Kommentare ein von besorgten Leuten & verschweigt od. minimiert die echten Anliegen. Schon ist der gew. Effekt erzeugt. Von diesem Rezept gibt es viele Varianten. Siehe z.B. "Gangs & Countergangs" von F. Kitson.
    1. Antwort von Monika Mitulla  (momi)
      Ich teile Ihre Meinung voll und ganz. Demokratie lebt vom Pluralismus und lässt alle Meinungen zu in einer breiten Diskussion. Genau das soll hier unterdrückt werden. In Deutschland ist immerhin das Grundgesetz geändert worden - dabei hatten weder das Parlament noch der Bürger mitzuentscheiden. Wir würden auch auf die Barrikaden, wenn das in unserem Land passieren würde.