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Coronakrise Israelis fürchten sich vor den Folgen des zweiten Lockdowns

Israels Regierung fährt das Leben wieder herunter. 60 Prozent der Bevölkerung vertrauen ihr in der Krise nicht mehr.

Das jüdische Neujahrswochenende hatte sich der junge Aktivist Uri Weltmann in Tel Aviv anders vorgestellt. Der Mathematiker und Mittelschullehrer gehört zum Führungsteam der jüdisch-arabischen Gerechtigkeits- und Gleichstellungsbewegung «Standing Together», die kürzlich 1000 leere Stühle in Tel Aviv aufstellte, um die Zahl der Corona-Toten in Israel fassbar zu machen.

Das zweite jüdische Fest im Lockdown

Uri sitzt zu Hause und macht das Interview von seinem Computer-Bildschirm aus. «Statt mit allen Verwandten ein grosses Fest zu machen, feierten wir daheim im engsten Familienkreis oder in Videokonferenzen. Es war ein schwieriges Neujahrsfest.» Bereits das Pessachfest im Frühling hatte im Lockdown stattgefunden. Dass ein zweiter Lockdown auch das Neujahrsfest ruinieren würde, hätte damals niemand gedacht.

Dass wir einen zweiten Lockdown haben, zeigt, dass unsere Regierung in der Coronakrise versagt hat.
Autor: Uri Weltmann Jüdischer Aktivist

Es hätte auch gar nicht so weit kommen müssen, sagt Uri Weltmann: «Dass wir einen zweiten Lockdown haben, zeigt, dass unsere Regierung in der Coronakrise versagt hat.» Die Regierung habe es versäumt, im ersten Lockdown ein Auffangnetz zu spannen für Angestellte und Selbständige, die ihren Job verloren – und das waren bis Anfang Mai 1.4 Millionen Menschen.

Mann vor geschlossenem Geschäft
Legende: Geschlossene Geschäfte in Jerusalem: Hunderttausende haben wegen der Coronakrise ihren Job verloren. Reuters

Deshalb sei der Druck gestiegen, vor allem von Geschäftsbesitzern, den ersten Lockdown frühzeitig zu beenden. Der Arbeitsmarkt erholte sich jedoch nicht. Elias Abu Axa aus Galilea, ein langjähriger arabisch-israelischer Touristenführer für deutschsprachige Gruppen, leidet – wie viele in seiner Branche. «Ich bin schon seit dem 10. März arbeitslos und ich weiss nicht, wie lange das noch dauert. Wir sehen schwarz.»

Jeden Tag andere Massnahmen

Israels Sozialversicherungen sind im Vergleich anderer OECD-Staaten schlecht ausgebaut. Elias Abu Axa erhält gerade mal ein Drittel seines letzten Gehalts. Er meint, Regierungschef Benjamin Netanjahu habe die Krise ausnützen wollen, um seinen Korruptionsprozess zu verschieben. «Deshalb ergreift er jeden Tag andere Massnahmen. Es gibt kein Vertrauen mehr in ihn.»

Demonstranten in Jerusalem
Legende: Seit Monaten protestieren Tausende Israelis gegen die Regierung von Netanjahu. Reuters

Über 60 Prozent der Israelis vertrauen der Regierung in der Coronakrise nicht mehr. Tausende demonstrierten in den vergangenen Monaten gegen Netanjahu, auch vor seiner Residenz in Jerusalem. Was vom Staat kommt, wird viele aber kaum durch den zweiten Lockdown bringen. Das macht dem Aktivisten Uri Weltmann Angst.

Polizei registriert fast 7000 Verstösse gegen Lockdown-Regeln

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Die israelische Polizei hat in den ersten Lockdown-Tagen Tausende Verstösse gegen die neuen Corona-Restriktionen geahndet. Während des von Freitag bis Sonntag dauernden jüdischen Neujahrsfestes seien insgesamt 6943 Vergehen registriert worden, teilte die Polizei am Montag mit. Die meisten Delikte standen mit 4822 Fällen im Zusammenhang mit dem Verlassen des Hauses.

In Israel gilt angesichts eines starken Anstiegs der Infektionszahlen seit Freitagnachmittag ein dreiwöchiger Lockdown. Die Bevölkerung muss sich unter anderem mit geschlossenen Schulen und Kindergärten sowie mit Einschränkungen der Bewegungsfreiheit arrangieren. Die Menschen dürfen sich nur in Ausnahmefällen weiter als 1000 Meter von ihrem Zuhause entfernen. ( dpa )

«Ich sehe die steigenden Ansteckungszahlen, die vielen Toten – diese Krise überwinden wir nur, indem wir uns verantwortungsvoll benehmen und miteinander solidarisch sind!». Genau das erwarte er auch von seiner Regierung – sonst nütze dieser zweite Lockdown so wenig wie der erste.

Zweiter Lockdown, um Tourismus wieder zu ermöglichen?

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Geschlossener Strand in Tel Aviv
Legende: Keystone

Ob der zweite Lockdown sinnvoll ist, da ist die Bevölkerung in Israel gespalten. Murci Heja aus Nazareth ist ein Führungsmitglied des israelischen Tourguide-Verbandes. Er findet, den Lockdown brauche es jetzt. Die Fallzahlen müssten runter. Dann sei in Zukunft wieder Tourismus aus dem Ausland möglich.

«Nachdem Israel Friedensabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain unterschrieben hat, will die Regierung Tourismus von dort.» Immerhin schätze man das Besucherpotenzial aus diesen Ländern auf bis zu 750'000 Menschen. Das ist allerdings noch Zukunftsmusik.

In der Zwischenzeit müsse die Regierung den Inlandstourismus fördern. «Wir beklagen uns nur darüber, dass der Tourismusminister seinen Job nicht macht!» Der Tourenguide-Verband fordert finanzielle Hilfe vom Staat und machte deswegen auch Druck im Parlament. (brus)

Rendez-vous vom 21.9.2020

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