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Coronapolitik in Deutschland Vier Monate Shutdown: Deutsche üben sich in Geduld

Deutschland reibt sich ob unseres Terrassenstreits die Augen. Doch auch dort scheint sich die Stimmung zu verändern.

In der Schweiz fährt man Ski und streitet sich über offene Restaurantterrassen – für Deutschland sind das Nachrichten wie vom Mars. Die Schweiz fühlt sich eingesperrt, und dies nach nur sechs Wochen Teilshutdown.

Deutschland hat inzwischen fast vier Monate davon hinter sich und freut sich, wenn am Montag die Coiffeursalons wieder öffnen. Deutsche Verhältnisse würden in der Schweiz zu einer Revolte führen. Die Deutschen hingegen zeigen eine Engels- oder böse formuliert, eine Untertanen-Geduld.

Es geht hier nicht um ein Plädoyer gegen einen Teilshutdown. Schliesslich hat Deutschland auch die besseren Coronazahlen als die Schweiz, wenn auch nicht so viel bessere, wie man nach vier Monaten Teilshutdown erwarten möchte. Die frühere Familienministerin Kristina Schröder (CDU) brachte auf den Punkt, worum es geht: «Ich finde, dass wir zu stark auf Instrumente des Mittelalters setzen und Instrumente der Neuzeit nicht vernünftig einsetzen.»

Ungenügende Digitalisierung ist legendär

In der Impfstatistik liegt Deutschland weit zurück, obwohl Biontech in Mainz sitzt. Breitflächig und regelmässige Schnelltests – die Kommune Tübingen macht es seit Monaten erfolgreich vor – existieren noch viel zu wenig.

Lüftungssysteme für Schulen, einfach herzustellen, sind noch nicht eingeführt. Stattdessen empfiehlt die Kanzlerin Angela Merkel im Winter lediglich Stosslüften und Kniebeugen. Und nur nebenbei: Die ineffiziente und ungenügende Digitalisierung der deutschen Behörden ist legendär und wurde schon vor fünf Jahren in der Flüchtlingskrise ausgiebig bemängelt.

Ein kalter Hauch von Mittelalter umweht auch den Umgang der Politik mit der Bevölkerung. Angst ist das Hauptmittel zur Disziplinierung. In einem viel diskutierten Strategiepapier des Innenministeriums vom Frühling wurde das offen gefordert. Der Shutdown scheint also nicht nur eine epidemiologische, sondern, mindestens so wichtig, auch eine pädagogische Massnahme zu sein.

Alle werden gleich schlecht behandelt

Ein Nagelstudio könnte mit Schutzkonzept wahrscheinlich öffnen. Aber was wäre das für ein Signal? Die Folge: Alle werden gleich behandelt, sprich gleich schlecht. Massgeschneiderte Lösungen gibt es kaum. In einem gefeierten TV-Spot empfahl die Bundesregierung der Jugend als besten Beitrag im Kampf gegen Corona zu Hause auf dem Sofa herumzufläzen und Chips zu essen.

Das ist eigentlich ein Armutszeugnis. Andere Regierungen hätten wohl gesagt: Designt einen Impfstoff oder kauft für ältere Menschen ein. Die Deutschen sind traditionell sehr geduldig, aber inzwischen schwankt die Stimmung. Und wir reden jetzt nicht von Coronaleugnen, sondern der disziplinierten Mehrheit zwischen unterdrückter Wut und Resignation.

Rendez-vous, 26.02.2021, 12:30 Uhr

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