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Das Ende einer Ära Angela Merkel geht – und was bleibt?

Eine Schülerin steht auf dem Sprungbrett und zögert zu springen. Erst als der Sportunterricht endet und die Schulglocke läutet, springt sie. Im allerletzten Moment. Diese Schülerin ist Angela Merkel. Die deutsche Kanzlerin, deren Amtszeit bald endet. Nach 16 Jahren an der Macht tritt sie ab. Freiwillig – das gab es vorher in Deutschland noch nie. Wer ist Merkel und wie hat sie Deutschland geprägt? Mit diesen Fragen hat sich die Publizistin Ursula Weidenfeld in ihrem Buch «Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche» beschäftigt.

Ursula Weidenfeld

Journalistin

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Ursula Weidenfeld (15. März in 1962 in Mechernich/Nordrhein-Westfalen) ist eine deutsche Wirtschaftsjournalistin.

SRF News: Merkel als zögernde Schülerin auf dem Sprungbrett. Zeigt sich hier bereits, wie sie später regieren wird?

Ursula Weidenfeld: Das ist zumindest das Bild, das sie entwickelt. Man wartet, zögert, geht mit seinen Ängsten und Bedenken um – und im letzten Moment, wenn’s zählt, springt man eben doch. Das ist was Merkel von sich selbst erzählt. Dies auch in Verbindung mit einem anderen Zitat: Sie sagt, sie glaube, dass sie im entscheidenden Moment mutig sei. Das ist das Narrativ der Kanzlerin.

Merkel 2011 im deutschen Bundestag
Legende: Zögern, Zuwarten, Handeln: Weidenfeld beschreibt die Kanzlerin (hier 2011 im Bundestag) auch als Ausdruck einer «deutschen Veränderungs-Unlust». Keystone

  Das Prinzip des Zögerns: Warum hat sie es so weit gebracht?

Es hat sie 16 Jahre lang im Kanzleramt gehalten. Auch weil es den Deutschen sehr entgegen gekommen ist. Wenn man sich überlegt, welche Reformen möglich und nötig gewesen wären – beim Klima, den Sozialversicherungen, in der Wirtschaft, der Finanzpolitik – dann ist Merkel auch der Ausdruck einer deutschen Veränderungs-Unlust.

 Woher kommt Merkels Unlust, Reformen anzupacken?

Ich glaube, das hat seinen Ursprung in den Jahren 2003 und 2005. 2003 ist Merkel als Oppositionsführerin und CDU-Chefin mit einem klaren liberalen Reformprogramm angetreten. Das ging weit darüber hinaus was der damalige Kanzler Gerhard Schröder mit der Agenda 2010 umgesetzt hat. Aber sie ist damit in ihrer eigenen Partei gescheitert. Sie hat das Programm dann begraben und ist in eine grosse Koalition mit den Sozialdemokraten getreten. Die Bedingung dafür war, dass es keine Reformen mehr im liberalen Sinne Schröders geben sollte. Das hat sie sofort akzeptiert und dann nie wieder angefasst.

Die Mär von der Krisen-Kanzlerin?

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Angela Merkel 2012 an einer Medienkonferenz während der Finanzkrise.
Legende: Angela Merkel 2012 an einer Medienkonferenz während der Finanzkrise. Keystone

Merkel hat in ihrer langen Amtszeit viele Krisen gemeistert: Die Eurokrise, die Flüchtlingskrise. Trotz Schwierigkeiten wurde sie danach immer wieder gewählt. Merkel kann Krise, hiess es. Doch nun die Pandemie: Kann Merkel wirklich Krise?

Für Weidenfeld hat sich die vermeintliche Krisenkompetenz der Kanzlerin zwar als «Narrativ» etabliert: «Merkel hat erlebt, dass man in einer Krise zuerst auf die Regierungschefin schaut und diese ‹Stunde der Exekutive› genutzt werden kann und muss, um akut zu handeln und dann auch gut zu entscheiden. In ihrem Fall spät, aber meist immer ganz gut. Das ist der Punkt, wo Merkel Krise kann.»

Merkel wisse aber auch, dass danach der Verdruss komme – und nach dem Verdruss das grosse Vergessen, wie es Weidenfeld ausdrückt: «Sie hat den Verdruss ausgesessen und es dabei verpasst, Deutschland in solchen Situationen krisenfester für die Zukunft zu machen.» Die scheidende Kanzlerin habe, so Weidenfeld, nicht in politisches Handeln umgesetzt, was man aus Krisen lernen könne und müsse.

Als Beispiele nennt die Journalistin die öffentliche Verwaltung, die sich wiederholt als nicht krisenfest erwiesen habe: Von der Finanz- über die Migrations- bis zur Coronakrise sei noch in jeder Krise eine Verwaltung «zusammengebrochen». Merkel habe nie versucht, die öffentliche Verwaltung im Anschluss an diese Erfahrungen neu aufzustellen – und habe den Wählerinnen und Wählern auch keinen Vorschlag dafür gemacht.

Dennoch: Sie schreiben, Merkel sei eine der modernsten Politikerinnen des 21. Jahrhunderts.

Das bezieht sich auf die Frage, welche Rolle Deutschland im 21. Jahrhundert spielen soll. Helmut Kohl konnte Deutschland immer nur europäisch denken und hat Deutschland deutsch-französisch definiert. Schröder hat ein raubakiges Gegenbild entworfen mit dem Satz: «In Europa wird das gute deutsche Geld verbraten.»

Mit Angela Merkel verbindet man keine heroische Tat, keine grosse politische Leistung.
Autor:

Beides ging im 21. Jahrhundert nicht mehr. Deutschland musste eine neue Rolle finden. Das hat viel mit seinem ökonomischen Gewicht, aber auch mit dem Brexit und anderen Veränderungen in einer multipolaren Welt zu tun. Merkel hat diese Rolle als eine starke, selbstbewusste Rolle definiert – die sich aber immer eher aufs Moderieren und Ausgleichen, die Rolle des ehrlichen Maklers, beschränkt hat.

Angela Merkel und Gerhard Schröder
Legende: 2005 beendete die damalige CDU-Chefin Angela Merkel die Ära Schröder. Nun tritt sie selbst ab – und das aus freien Stücken. .

Kohl war der Kanzler der Einheit, Schröder der Kanzler der Agenda 2010. Was bleibt von Merkel?

Mit ihr verbindet man keine heroische Tat, keine grosse politische Leistung. Wenn man einmal von ihrem Verhalten in der Migrationskrise absieht. Hier sagen die einen: Das war ihre Überzeugung, ihre grosse Tat. Die anderen finden: Hier hat sie wie immer nicht gehandelt und gar nicht entschieden. Ich glaube, am Ende wird man mit ihr die neue Rolle Deutschlands, seine Definition als selbstbewusstes, wirtschaftlich starkes Land bleiben. Das aber seine Rolle im 21. Jahrhundert – Gott sei Dank – ganz anders buchstabiert als im 20. Jahrhundert.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 24.08.2021, 18 Uhr ; 

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