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Malaria-Dezimierung: Afrika als Versuchskaninchen?
Aus Rendez-vous vom 19.06.2020. Bild: SRF. Samuel Burri
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Das tödlichste Tier in Afrika Mit Gentechnik gegen die Malariamücke

In Burkina Faso werden genveränderte Malariamücken freigesetzt. Das Experiment weckt Hoffnungen, doch Umweltschützer warnen.

Der vierjährige Guira Masco schreit auf, als die Ärztin seinen Bauch abtastet. Der Vater hat den Kleinen per Motorrad ins Gesundheitszentrum von Nasso gebracht, in einem Wäldchen im Westen von Burkina Faso. «Sein Körper war ganz heiss und er musste erbrechen», erzählt der Vater.

Zwei Frauen an einem Tisch, gegenüber sitzt eine Person mit einem Kind auf dem Schoss.
Legende: Ärztin Karidia Kiendrébéogo bei der Sprechstunde im Gesundheitszentrum. Der Knabe Guira Masco (4) leidet an Malaria. SRF/Samuel Burri.

Ärztin Karidia Kiendrébéogo macht einen Bluttest und nach 15 Minuten ist klar: Guira hat Malaria. Das Medikament dagegen ist in Burkina Faso für kleine Kinder und schwangere Frauen gratis.

Der tödliche Stich der Malariamücke

Trotzdem bleibt Malaria die häufigste Todesursache bei Kindern. Jedes Jahr sterben in Burkina Faso Tausende daran. Weltweit, so schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO, tötet Malaria jährlich 400'000 Menschen.

Weibliche Stechmücken übertragen Malaria

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Malaria ist eine Infektionskrankheit, die von Parasiten der Gattung Plasmodium hervorgerufen wird. Die Plasmodien werden in den Tropen und Subtropen durch den Stich einer weiblichen Stechmücke (Moskito) der Gattung Anopheles übertragen.

Die Malaria ist mit etwa 200 Millionen Erkrankten pro Jahr die häufigste Infektionskrankheit der Welt. Symptome sind hohes, wiederkehrendes bis periodisches Fieber, Schüttelfrost, Beschwerden des Magen-Darm-Trakts und Krämpfe. Besonders bei Kindern kann die Krankheit rasch zu Koma und Tod führen.

Doch das könnte sich ändern, denn im Dorf Bana, wo Guira lebt, wird eine tödliche Waffe gegen die Malariamücke Anopheles gambiae erforscht. Es ist die Mücke selbst. Der Vater des Jungen erzählt: «Die Forscher kamen, sie versammelten uns und erklärten, sie wollten bei uns Mücken freilassen, sterile Männchen.»

Mückenfänger im Dorf

Mit dem Einverständnis der Dorfbewohner wurden im Juli 2019 erstmals genveränderte Mücken im Dorf ausgesetzt. Die Mückenmännchen waren mit der CRISPR-Cas9-Methode genetisch unfruchtbar gemacht worden. Das war der Start zum ersten Testlauf.

Lehmhaus mit einem Roten Kreuz über dem Eingang. Davor sind mehrere dunkle Personen mit traditionellen Kleidern.
Legende: Das Gesundheitszentrum von Nasso im Westen Burkina Fasos. Rund die Hälfte aller Patienten hier leiden an Malaria, viele von ihnen sind Kinder. SRF / Samuel Burri

Kurz darauf machten sich im Dorf Mückenfänger auf die Pirsch. In regelmässigen Abständen überprüften sie während eines Jahres, ob noch sterile Männchen in freier Wildbahn auffindbar waren. Resultate gibt es noch nicht. Doch das Experiment sorgte für Aufsehen und Proteste in Burkina Faso. Die Gegner protestierten, Menschen in Afrika würden als Versuchskaninchen missbraucht.

Weniger Töchter, mehr Söhne

Im Labor am Institut für Gesundheitsforschung (IRSS) in der Kleinstadt Bobo-Dioulasso stösst die Kritik auf wenig Verständnis. Hinter einer doppelt gesicherten Eingangstür werden die Mücken für die Versuche aufgezogen, und das Erbgut eingefangener Mücken untersucht.

Dunkle Frau sitzt an einem Laptop.
Legende: Léa Paré ist im Malaria-Projekt in Bobo Dioulasso für die Kommunikation mit Partnern und der Bevölkerung zuständig. SRF/Samuel Burri

«Bald kommen wir in die zweite Phase», erzählt Léa Paré, sie ist beim Malariaprojekt für die Kommunikation und Information zuständig. «Die nächste Variante der Mücken soll vorwiegend männliche Nachkommen produzieren.»

Weniger Töchter, mehr Söhne – im Labor hat das bereits funktioniert. Dort waren 95 Prozent der Nachkommen männlich, das führt dazu, dass die Mückenpopulation mit jeder Generation kleiner wird und schliesslich kollabiert.

Protest von Gentechgegnern

Die Idee, dass sich die Mücken selbst dezimieren, tönt gut. Doch sie stösst auf Widerstand. In der Hauptstadt Burkina Fasos sitzt Ali Tabsoba. Der Umweltschützer findet das Malariaprojekt riskant: «Es setzt die Gesundheit der Burkinabé aufs Spiel und könnte die Umwelt schädigen.» Man nutze die Unwissenheit der Afrikaner aus, klagt Tapsoba. «In Europa könnte man nicht die eigenen Bürger als Versuchskaninchen benutzen!»

Kiste mit Netz. Darin sind Mücken. Dahinter steht ein Mann in weissem Laborkittel.
Legende: Ziel des Projekts Target Malaria ist die Züchtung und Freisetzung genveränderter Mücken, welche überwiegend männliche Nachfahren zeugen. Damit soll die Fortpflanzung gebremst werden. SRF / Samuel Burri

Auf seinem Handy zeigt der Direktor der lokalen Umweltorganisation «Terre à vie» ein Video einer Demonstration in der Hauptstadt Ouagadougou vor zwei Jahren. Das Experiment ist staatlich bewilligt, doch Tapsoba bezweifelt, dass jemand in der Behörde genau versteht, was die Forscher machen.

«Die Toten sind das Problem»

Léa Paré kann die Aufregung nicht nachvollziehen. Man habe stets offen kommuniziert, so die Frau von Target Malaria. Tatsächlich sind die Forscher seit Jahren mit der Dorfbevölkerung in Kontakt. Und auch die gentechkritischen Organisationen seien angehört worden.

Schale mit schwarzen Punkten. Sie steht auf einem Kühlschrankgitter und ist beschriftet.
Legende: Mückenlarven. Die Wissenschaftler züchten derzeit nur «normale» Mücken bis die Bewilligung für die nächste Stufe des Experiments eingetroffen ist. SRF/Samuel Burri

«Einverstanden, es gibt nie ein Nullrisiko», sagt Kommunikationschefin Paré. Doch man tue das mögliche, um alle Risiken auszuschalten. Und der Nutzen sei um ein Vielfaches höher. «Wenn man die Zahl der Malariatoten in Burkina Faso sieht, das ist doch das Problem!» Laut Weltgesundheitsorganisation sterben alleine im kleinen Westafrikanischen Land über 15'000 Menschen jährlich.

Teurer Kampf

Das tödlichste Tier in Afrika ist nicht der Löwe oder Büffel, sondern eine kleine Mücke. Der Kampf gegen die Anophelesmücke und gegen Malaria ist teuer. Organisationen verteilen Netze, Regierungen sprühen Insektizid, Medikamente werden gratis oder günstig abgegeben. An einer Impfung wird noch immer geforscht.

Chance oder Risiko? Eine Einschätzung

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«Die neue Technik – sie heisst Gene Drive – funktioniert anders, als das, was wir als Gentechnik kennen», sagt Wissenschaftsredaktorin Katrin Zöfel. «Bisher galt, gentechnische Veränderungen sollen sich nicht verbreiten.» Die neue Technik aber muss sich ausbreiten, um überhaupt zu funktionieren. Sie soll die Natur - in diesem Fall die Mücken - möglichst flächendeckend verändern.

Laut vieler Kritiker kommt noch etwas dazu: Die Forscher brächten mit der neuen Technik den Mücken quasi bei, sich schneller genetisch zu verändern, als sie das natürlicherweise tun. Bei beiden Punkten gilt: Die Folgen sind extrem schwer abzuschätzen.

Der Vorwurf, in Burkina Faso werde an den Ärmsten experimentiert ist laut Zöfel «zu einfach». Einen solchen Versuch könne man nur dort durchführen, wo es Malaria gebe. Die zentrale Frage sei, ob man die Menschen aufgeklärt und sie gefragt habe, ob sie dem Versuch in ihrer Region zustimmen wollen.

Zu den Chancen auf Erfolg sagt Katrin Zöfel: Grundsätzlich sei die Idee, mit der Mücke auch die Malaria auszurotten, einleuchtend – aber es sei auch nicht der erste Anlauf. Lange hätten Insektizide als das Mittel gegen Malaria gegolten – bis man gemerkt habe, dass die Giftstoffe auch Nachteile haben.

Der neue Versuch, die Mücke auszurotten, diesmal mittels der neuen gentechnischen Methode, sei durchdacht. Aber ob es so gelinge, der Malaria den Garaus zu machen oder ob es Nebenwirkungen gebe, die noch keiner absehe – da wagt Wissenschaftsredaktorin Zöfel keine Prognose.

All diese Massnahmen kosten jährlich Millionen und lösen das Problem nicht. Die Mücken auszurotten, das wäre viel effizienter. Und genau dies ist eines der Hauptargumente von Target Malaria, welches durch die «Bill & Melinda Gates Stiftung» finanziert wird.

Tatsächliche Versuchskaninchen

Eine definitive Lösung, also das Ausrotten der Krankheit, würde viel Leid ersparen. Doch ob es diesen Eingriff in die Natur rechtfertigt? Werden gar Menschenleben aufs Spiel gesetzt? Die Antworten gehen auseinander.

Dunkler Mann in weissem Kittel sitzt in einem Labor.
Legende: Der Wissenschaftler Dao Koulmaga untersucht im Labor des Institut de Recherche en Sciences de la Santé Mücken mittels DNA-Analyse. SRF/Samuel Burri

Hinter dem Labor in Bobo-Dioulasso steht ein Stall. Darin hoppeln einige Kaninchen herum. Die Mücken im Stall können sich nur dank des Kaninchenbluts fortpflanzen. Das sind bestimmt Versuchskaninchen.

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Gene Drive – Streit um Eingriff ins Erbgut
aus Wissenschaftsmagazin vom 25.05.2019. Bild: imago/science photo library
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Rendez-vous vom 19.06.2020, blac;

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