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Demonstrationen für Nawalny Russland steht vor einer Gewissensfrage

Kein Wort verlor Wladimir Putin über Alexej Nawalny während seiner Rede zur Lage der Nation. Offiziell heisst es aus dem Kreml, dass der Präsident der Angelegenheit rund um den inhaftierten Oppositionspolitiker nicht folge. Mit seinem Schweigen signalisiert Putin nach aussen, dass ihm das Leben Nawalnys nicht der Rede wert ist.

Dieser Haltung widersetzten sich mehrere hunderttausend Menschen in Russland, die am Mittwochabend medizinische Hilfe in der Strafkolonie für Nawalny forderten. In den Augen Putins sind dies scheinbar keine Bürger, die eine öffentliche Stellungnahme des Präsidenten verdient hätten.

Rubel gegen Gewissensbisse

Statt über die drängendsten politischen Fragen der Stunde sprach Putin während seiner gesamten Rede grösstenteils über Zukunftspläne für ärmere Regionen Russlands, neue Krankenwagen und Unterstützung für Familien. Zwischen den Zeilen scheint der russische Präsident der schweigenden Mehrheit im Land anzubieten, sie von ihrem schlechten Gewissen freikaufen zu wollen.

Ebenso wie der russische Präsident weiss, dass sich Nawalny in einem lebensbedrohlichen Zustand befindet, so sind die unhaltbaren Zustände in russischen Strafanstalten im Zeitalter des Internets längst auch der Mehrheit der russischen Bevölkerung bekannt. Putin macht die schweigende Mehrheit der Bevölkerung zu Komplizen in einem zynischen Kampf um Leben und Tod.

Mit Elektroschocker und Inlandsgeheimdienst

In Städten mit einer kritischen Masse an Menschen, die sich getrauen zu demonstrieren, reagiert das System mit unterschiedlichen Mitteln der Repression. In St. Petersburg, der Heimatstadt Putins, scheint man die breite Masse einschüchtern zu wollen. Laut einer Menschenrechtsorganisation wurden dort am Mittwochabend mit Hilfe von Elektroschockern mehr als 740 Personen festgenommen.

An der Demonstration in Moskau kam es mit 26 Personen zu auffallend wenigen Festnahmen. In der Hauptstadt zielt man hauptsächlich auf die Mitarbeiter von Nawalny. So verschwand am Mittwoch einer seiner Mitarbeiter spurlos. In der Zwischenzeit soll der Mann vom Inlandsgeheimdienst an unbekanntem Ort befragt werden. Mit Methoden wie diesen wird Nawalnys Antikorruptionsstiftung seit Wochen paralysiert.

Unbezahlbares Schweigen

Bereits am kommenden Montag beginnt ein Gerichtsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit, welches die Organisation Nawalnys zu einer extremistischen Organisation erklären könnte. Damit stünden alle Mitarbeiter Nawalnys mit einem Bein bereits ebenfalls für mehrere Jahre im Gefängnis. Ob Nawalny diesen Tag bei Bewusstsein erlebt, hängt vom politischen Druck auf Putin ab. Bisher scheint dem russischen Präsidenten kein Preis zu hoch, um Nawalny zum Schweigen zu bringen.

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

Heute Morgen, 22.04.2021, 6 Uhr

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