Tausende Menschen haben am Wochenende in Israel gegen Korruption und gegen das Corona-Krisenmanagement von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu protestiert. Schon letzte Woche kam es bei Demonstrationen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Peter Münch, Korrespondent für die «Süddeutsche Zeitung» und den «Tagesanzeiger», sagt, dass die Proteste – sowie der laufende Korruptionsprozess – Netanjahu zusetzen werden.
SRF News: Was wollen die Demonstranten mit ihrem Protest erreichen?
Peter Münch: Ihr Hauptantrieb ist, den wegen Korruption angeklagten Premierminister Benjamin Netanjahu aus dem Amt zu jagen. Der zweite ist der Vorwurf, er habe die Coronakrise schlecht gemanagt.
Können die Proteste Netanjahu effektiv gefährlich werden?
Netanjahu ist eine Art Teflon-Politiker. Bislang hat man ihm nie irgendetwas anhaben können. Er ist seit 2009 ununterbrochen im Amt, und er ist es gewohnt, dass gegen ihn prozessiert wird. Doch dieser Protest ist anders.
Jedes Wochenende gehen mehr Menschen auf die Strasse.
Erstens gewinnt der Protest an Fahrt. Jedes Wochenende gehen mehr Menschen auf die Strasse; in Jerusalem, aber auch in anderen Landesteilen. Zudem ist Netanjahu angeschlagen durch seinen Korruptionsprozess. Es ist in Israels Geschichte etwas völlig Neues, dass ein Regierungschef wegen Korruption vor Gericht steht. Und zum zweiten ist die wirtschaftliche Lage durch die Coronakrise tatsächlich desolat.
Netanjahu hat bis jetzt noch jede Krise überstanden. Gilt das auch jetzt?
Sein Problem ist, dass er dem Volk immer versichert, dass er derjenige sei, der die Israeli beschütze und rette. Das funktioniert in äusseren Krisen, wenn es einen Krieg gibt gegen die Hamas in Gaza oder Wirren mit der Hisbollah im Libanon. Dann kann er sein Image als «Mister Sicherheit» ausspielen.
In äusseren Krisen kann er sein Image als ‹Mister Sicherheit› ausspielen. Das geht diesmal nicht.
In dieser Krise kann er das nicht. Netanjahu steht sozusagen als König ohne Kleider da. Die Arbeitslosenrate ist von drei Prozent auf über 20 Prozent angestiegen. Es gibt viele Selbstständige, die um ihre Existenz bangen. Unter ihnen sind auch viele, die eigentlich zur Wählerklientel Netanjahus gehören. Und dies könnte ihm diesmal durchaus Probleme bereiten.
Ist es auf seine Politik zurückzuführen, dass die Arbeitslosigkeit steigt?
Einer meiner Bekannten hat ein Reiseunternehmen. Seine Branche ist von der Krise am härtesten betroffen. Er sagt, wenn Netanjahu ein CEO wäre, müsste er gehen. Er hat sich von Beginn der Krise an als derjenige stilisiert, der die Krise meistert. Und am Anfang war es ja auch gar nicht so schwer. Er galt als Vorbild in Europa. Er musste dazu nicht viel mehr machen, als zu sagen: Wir machen alles dicht.
Es ist einfach zu schnell zu viel geöffnet worden, und dadurch sind die Zahlen wieder angestiegen.
Der zweite Schritt war deutlich schwieriger – nämlich alles wieder zu öffnen. Da sind deutliche Fehler gemacht worden, und das merken die Leute. Es ist einfach zu schnell zu viel geöffnet worden, und dadurch sind die Zahlen wieder angestiegen. Und nun müssen neue Massnahmen bis hin zu einem partiellen Lockdown getroffen werden. Dieses Handling der Krise war schlecht. Das werfen ihm die Menschen in Israel jetzt vor.
Das Gespräch führte Roger Aebli.