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Russland-Politik der SPD: Schröders Erbe wirkt bis heute auf die Partei ein
Aus Echo der Zeit vom 06.04.2024. Bild: Keystone/Peer Grimm
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Der Altkanzler wird 80 Gerhard Schröder: tief gefallen – und tief verwurzelt in der SPD

Der Altkanzler feiert einen runden Geburtstag – die SPD nimmt’s zur Kenntnis. Doch sein politisches Erbe lebt weiter.

Heute feiert Gerhard Schröder seinen 80. Geburtstag. Dieser Tage ist der einst respektierte Politiker eine höchst umstrittene Figur. Im Besonderen wegen seiner prorussischen Haltung und seiner Nähe zum russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel fällt ein zwiespältiges Urteil über seinen Parteikollegen. «Wenn sein Verhältnis zu Russland ein selbstkritisches gewesen wäre, wäre er im Rückblick ein wirklich grosser Kanzler gewesen», sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Schröder in einer Aufnahme vom März 2024.
Legende: Die eigene Partei geht schon länger auf Distanz zu ihrem Kanzler der Jahrtausendwende. Im Boulevard wird Schröder gerne auch als «Gas-Gerd» verhöhnt, weil er jahrelang in Diensten des russischen Staatskonzerns Gazprom stand. Keystone/DPA/Michael Kappeler

Und auch die aktuelle SPD-Spitze um Kanzler Olaf Scholz distanziert sich von Schröder. Doch seine Politik prägt die Partei bis heute, wie Reinhard Bingener ausführt. Der deutsche Polit-Journalist hat letztes Jahr das Buch «Die Moskau-Connection» veröffentlicht, das die Russland-Verstrickungen der deutschen Sozialdemokratie durchleuchtet.

Die SPD und ihre «Friedenskanzler»

Bis heute hört Bingener ein Echo der Schröder-Jahre in der SPD heraus. So preist die Partei den amtierenden Kanzler Scholz gerne als besonnenen Staatsmann an, der den weltpolitischen Wirren mit Ruhe und Ratio begegnet. «Auch Schröder wurde damals als Krisenkanzler inszeniert.»

Die Schlagworte damals: «Die ruhige Hand» des «Friedenskanzlers» der Jahre 1998 bis 2005, die aussenpolitisch von Amerikas «Krieg gegen den Terror» geprägt waren. «Solidarität Ja – Abenteuer Nein», sagte Schröder 2003 an die Adresse der USA, die auf eine deutsche Beteiligung am Krieg im Irak drängten.

Schröder, Bush und Chirac 2002 bei einem G8-Gipfel in Kanada.
Legende: Nach den Anschlägen von 9/11 verkündete US-Präsident George W. Bush: «Ihr seid entweder für oder gegen uns!» Schröder blieb standhaft – und bildete mit dem damaligen französischen Präsidenten Jacques Chirac eine Koalition der Unwilligen, die den Krieg im Irak ablehnte. Keystone/EPA/LUKE FRAZZA

«Und heute wird die Zurückhaltung von Scholz bei Waffenlieferungen an die Ukraine damit begründet, dass er so den Frieden bewahre», sagt Bingener. Diese militärische Zurückhaltung – auch gegenüber Moskau – sei bereits prägend für die Schröder-Jahre gewesen. «Das gehörte zu seinem Standardrepertoire.»

Der damalige SPD-Generalsekretär Scholz und Kanzler Schröder 2003 in Bochum.
Legende: Scholz sprach sich jüngst dagegen aus, der Ukraine Taurus-Marschflugkörper zu liefern. Und erhielt dafür prompt ein Lob von Altkanzler Schröder: «Er macht das, was ich von einem deutschen Bundeskanzler zurzeit erwarten würde.» Bild: Der damalige SPD-Generalsekretär Scholz und Kanzler Schröder 2003 in Bochum. Keystone/AP/FRANK AUGSTEIN

In ihrer Ostpolitik habe sich die SPD zwar korrigiert, sagt der FAZ-Journalist. «Das war auch unabdingbar in Anbetracht dessen, wie sich die russische Politik verändert hat.» Bei näherer Betrachtung sei der Bruch mit Moskau aber auch nicht ganz so klar, wie es die Partei gerne behaupte.

Man kann sich von der Person Schröder distanzieren. Aber er stand auch für etwas, das tiefer liegt.
Autor: Reinhard Bingener Politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Schröders Erbe wirkte weit über seine Kanzlerschaft auf die SPD ein. Lange Jahre war die Partei von seinen «Schülern» geprägt, wie sie Bingener nennt. Allen voran von Frank-Walter Steinmeier, dem langjährigen Aussenminister der Merkel-Ära, der heute als Bundespräsident amtet.

Steinmeiner und Gabriel in einer Aufnahme aus dem Jahr 2017.
Legende: SPD-Granden wie Lars Klingbeil, Frank-Walter Steinmeier (rechts) oder Sigmar Gabriel (Mitte) distanzieren sich heute von Schröder. Lange Jahre trugen sie aber seine Politik weiter – auch in aussenpolitischen Fragen. Anadolu Agency/Getty Images/Michele Tantussi (Archiv)

«Man kann sich von der Person Schröder distanzieren», sagt Bingener. «Aber er stand auch für etwas, das tiefer liegt.» Der Journalist blickt weit in die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie zurück, bis zu den marxistisch inspirierten Parteiströmungen der 1960er- und 70er-Jahre, die anti-amerikanische und moskaufreundliche Positionen vertraten. «Diese Kohorte ist nach wie vor in allen Gliederungen der Partei stark vertreten.»

Signale der Schwäche Richtung Moskau

Dazu komme der «zentrale Mythos der deutschen Nachkriegs-SPD»: nämlich die Entspannungspolitik unter Bundeskanzler Willy Brandt. «Dieser Mythos ist der Partei sehr wichtig und sie kann nur sehr schwer davon ablassen.»

Die Doktrin «Wandel durch Annäherung»

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Legende: Willy Brandt (links vorne) und Egon Bahr (links hinten) bei einem Treffen 1971 mit dem damaligen Sowjetführer Leonid Breschnew auf der Krim. Keystone/AP/Wegmann

In der Bundesrepublik Deutschland wurde die Regierungszeit von Willy Brandt (1969-1974) von der Entspannungspolitik geprägt. Angesichts des Kalten Krieges, des Wettrüstens und der ständigen Konfrontation zwischen Ost und West führte der SPD-Kanzler Willy Brandt 1969 Gespräche mit Polen und leitete Verhandlungen zum Gewaltverzicht mit der Sowjetunion, der DDR und den anderen Staaten des Warschauer Paktes ein. Das dieser Politik zugrunde liegende Konzept «Wandel durch Annäherung» hatte der SPD-Politiker Egon Bahr bereits 1963 formuliert. 

Für den Autoren und Journalisten Reinhard Bingener braucht es innerhalb der SPD eine «echte historische Aufarbeitung» der SPD-Aussenpolitik der letzten Jahrzehnte. «Die Partei kann sich das auch trauen. Es war ja nicht alles schlecht.» Der Beginn der Entspannungspolitik habe sich etwa sehr gut begründen lassen. «Aber beim ‹heiligen Willy und dem seligen Egon› wird man einige Sachen genauer anschauen müssen – genauso wie bei Gerhard Schröder.»

Dieses geistige Erbe spiele auch in die Russland-Politik der heutigen, SPD-geführten Regierung hinein, schliesst Bingener – auch wenn Deutschland viel leiste, um die Ukraine zu unterstützen: «Wir senden fortwährend Signale der Angst und Schwäche Richtung Moskau. Ich bin überzeugt, dass Putin nur eine Sprache der Stärke versteht.»

Gerhard Schröder: «Ich bereue nichts»

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Im Interview mit der Deutschen Presseagentur (dpa) äusserte sich Gerhard Schröder in dieser Woche zu seinem Vermächtnis, seinem Verhältnis zu Russland und dem Krieg in der Ukraine. Ein Ausschnitt:

Von ihren 80 Lebensjahren waren Sie acht Jahre Ministerpräsident, sieben Jahre Bundeskanzler. Sie sind 61 Jahre Mitglied der SPD. Mit welchen Entscheidungen und Errungenschaften wollen Sie ihr politisches Lebenswerk verbunden wissen?

Innenpolitisch ist es die Agenda 2010, die zwar in meiner eigenen Partei und auch in den Gewerkschaften auf Widerspruch und Widerstand gestossen ist. Aber ich glaube, im Ergebnis kann man mit den Erfolgen dieser Agenda zufrieden sein. Sie hat Deutschland von einem kranken Mann in Europa zu einer starken Frau gemacht, wenn ich das mal mit Blick auf meine Nachfolgerin so sagen darf. Das zweite und gleichermassen Wichtige war unser Nein zum Irak-Krieg. Denn wie sich gezeigt hat, war das historisch gar nicht so falsch. Vor allen Dingen, so wie es dann gemacht worden ist und wie es sich entwickelt hat, hat es den Frieden in der Region nicht nähergebracht, sondern international mehr Schwierigkeiten verursacht.

Gibt es etwas, das Sie rückgängig machen würden?

Es gibt viele Situationen, wo ich Verletzungen zugefügt habe – innerhalb meiner Partei, aber auch nach aussen. Da würde ich gerne sagen: Leute, das war nicht so gemeint, in der damaligen Situation vielleicht, aber in der Rückschau eigentlich nicht. Aber ansonsten, was die wesentlichen Entscheidungen angeht, stehe ich dazu.

Und den Weg, den Sie nach ihrer Kanzlerschaft gegangen sind, gerade was ihr Engagement in und für Russland angeht, davon bereuen Sie auch nichts?

Warum sollte ich? Ich war, als ich aufhören musste, knapp über 60. Da musste ich ja was tun und habe das auch gemacht – als Anwalt und in anderen Bereichen. Auch da kann ich sagen: Ich bereue nichts.

Sie haben die Entscheidung Putins, die Ukraine anzugreifen, als «fatale Fehlentscheidung» bezeichnet. Viele Menschen in Deutschland verstehen nicht, dass sie trotz Zehntausender Toten und russischer Kriegsverbrechen in diesem von Putin begonnenen Krieg an ihrer Freundschaft mit ihm festhalten. Wie erklären Sie denen das?

Es ist ja so, dass das eine Dimension ist, die eine andere ist. Es hat ja immerhin so ausgesehen, als könnte diese persönliche Beziehung auch mal hilfreich sein, um ein politisch ausserordentlich schwieriges Problem zu lösen. Und deswegen hielte ich es für völlig falsch, alles vergessen zu machen, was es auch an positiven Ereignissen zwischen uns in der Politik in der Vergangenheit gegeben hat. Das ist nicht meine Art und das tue ich auch nicht.

Hat das auch mit persönlicher Loyalität zu Putin zu tun?

Wir haben über lange Jahre vernünftig zusammengearbeitet. Vielleicht kann das immer noch helfen, eine Verhandlungslösung zu finden – eine andere sehe ich nicht.

Es gibt zwei Schreckensszenarien, die mit Blick auf Putin und eine mögliche Ausweitung des Ukraine-Kriegs diskutiert werden. Erstens: Er zettelt einen Atomkrieg an, damit hat er ja schon gedroht. Und zweitens: Er greift ein Nato-Land an der Ostflanke an. Ist eines dieser Szenarien oder sind beide aus Ihrer Sicht realistisch?

Das halte ich für Quatsch. Aber die Frage ist doch: Was ist die Perspektive unserer Seite? Es wäre Aufgabe all derjenigen, die eine wirkliche Eskalation hin zu solch schrecklichen Szenarien wirklich im Keim ersticken wollen – auch um die Beunruhigung der Bevölkerung nicht grösser werden zu lassen –, neben der Unterstützung für die Ukraine ernsthaft über eine Lösung des Konflikts nachzudenken. Frankreich und Deutschland müssten dazu die Initiative ergreifen. Dass der Krieg nicht mit einer totalen Niederlage der einen oder anderen Seite enden kann, das liegt doch auf der Hand

Echo der Zeit, 07.04.2024, 18 Uhr;

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