Zum Inhalt springen

Deutschland nach der Wahl FDP holt die Jungen ab: Warum liberal plötzlich hip ist

Junge Menschen in Deutschland favorisieren die Grünen – und die FDP. Warum eigentlich? Wir haben uns in Berlin umgehört.

Wer endlich wählen darf, nimmt es ganz genau! Diesen Eindruck erhält, wer vor der grossen Wahl jungen Menschen zugehört hat. Da wurden Versprechen auf Plakaten mit dem Wahlprogramm verglichen und Wahlprogramme der Parteien einander gegenüber gestellt. Erstwählerinnen und junge Wähler haben ihren Entscheid gut abgewägt.

Pascal etwa hat sich richtig Zeit genommen, wie er an einer Wahlveranstaltung der FDP erzählt hat: «Natürlich habe ich mir die Trielle und Wahlsendungen angeschaut. Dabei ist mir aufgefallen, dass die anderen weniger konkrete Lösungsvorschläge als die FDP haben.» Themen wie Bildung und Digitalisierung würden weniger stark angegangen.

Una ist 19, die FDP schon länger ihre Partei. Ihr sei wichtig, dass bei der FDP der Freiheitsgedanke an erster Stelle stehe. «Und in puncto Bildung hat die FDP mehr zu bieten als andere Parteien, und beim Klimaschutz hat sie realistischere Ideen.»

Damit möglichst viele Jugendliche so denken wie Una und Pascal, haben Charlotte und Lowis wochenlang ehrenamtlich ihre Zeit investiert.

Lowis Eggers, 26, ist verantwortlich für den Social-Media-Auftritt der Jungen Liberalen in Berlin. Instagram sei das Medium, Tiktok mit chinesischem Hintergrund tabu, Facebook etwas für die Alten, sagt er entschuldigend.

Charlotte Nutzhorn wird nächsten Samstag 19. Jung genug, um sich die Wochenenden für die Partei um die Ohren zu schlagen. Auf dem Rosenthaler Platz in Berlin-Mitte hätten sie Party-Wahlkampfstände aufgestellt, erzählt sie. «Wir haben da unsere Werbeartikel und Gratis-Shots verteilt. Dabei entsteht gern mal ein ungezwungenes Gespräch darüber, wer wir überhaupt sind und was wir machen.»

Bis 2013 war die FDP eine Altherren-Partei.
Autor: Lowis Eggers Social-Media-Verantwortlicher bei der Jungen FDP

Die Jungen im Ausgang abzufangen, ist allerdings auch den anderen Jungparteien in den Sinn gekommen – es sind die Themen, mit denen die Freien Demokraten gepunktet haben. Charlotte glaubt, dass daran auch die Coronakrise grossen Anteil hatte. «Man hat gesehen, dass in der Bildung sehr viel schiefläuft und wir die Digitalisierung verschlafen haben.» Diese Themen würde die FDP schon lange beackern. «Hier haben wir einen Vertrauensvorsprung.»

Kommt dazu, dass es langsam gelinge, die bösen Klischees zu brechen – so ein Flyer für den Heimweg könne zum Denken anregen, sagt Charlotte. «Dass wir eben nicht einfach diese Reichenpartei sind, sondern gute Sachen dahinterstecken.»

Von der Altherren- zur Herrenpartei

Auch Lowis Eggers lobt den Wandel. «Bis 2013 war die FDP eine Altherren-Partei. Damals wäre ich nicht Mitglied geworden.» Parteichef Christian Lindner und Marco Buschmann, der parlamentarische Geschäftsführer der FDP, hätten den Auftritt der Partei aber von Grund auf erneuert. «Allein schon die neue Ansprache kommt bei jungen Menschen gut an», sagt Lowis.

Es bleibt allerdings eine Herren-Partei, bemängelt Charlotte – sie brenne vor allem für gerechte Sozialpolitik und Klimaschutz. Dieser werde nur schlecht kommuniziert. Dabei habe die FDP sehr ähnliche Ziele wie die Grünen.

Schon vor zwei Jahren habe ich zu meinen Freundinnen und Freunden gesagt: ‹Boah, eine Ampelkoalition wäre mein Traum, die Grünen und die FDP müssen sich besser verstehen – das wäre so schön.›
Autor: Charlotte Netzhorn Junge FDP-Unterstützerin

Die jungen Wählerinnen und Wähler in Deutschland sind also gelb-grün – dass jetzt diese beiden kleineren Parteien den Tarif durchgeben, kommt bei ihnen sehr gut an. Das grün-gelbe Vorsondierungsquartett hat mit dem schon fast ikonischen Instagrambild genau den Nerv der Jungen getroffen.

Auch denjenigen von Charlotte Nutzhorn: «Ich habe mich echt gefreut über dieses Foto! Schon vor zwei Jahren habe ich zu meinen Freundinnen und Freunden gesagt: ‹Boah, eine Ampelkoalition wäre mein Traum, die Grünen und die FDP müssen sich besser verstehen – das wäre so schön.›»

Echo der Zeit, 06.10.2021, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel