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Chinas lückenlose Überwachung
Aus Echo der Zeit vom 08.11.2018. Bild: Reuters
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Die perfekte Diktatur China und der Traum vom totalitären Staat

China wird seit längerem grundlegend umkrempelt. Mit Hilfe von Big Data und künstlicher Intelligenz will Peking die perfekte Diktatur aufbauen, jeder Schritt und jeder Gedanke von Bürgern oder Touristen soll erfasst, verknüpft und ausgewertet werden. Das Ziel ist die totale Kontrolle über alle und alles. Diese Umgestaltung hat der ehemalige China-Korrespondent Kai Strittmatter miterlebt. In seinem Buch «Die Neuerfindung der Diktatur» zieht er Bilanz.

Kai Strittmatter

Kai Strittmatter

Ehemaliger China-Korrespondent

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Der Journalist Kai Strittmatter hat mehr als 20 Jahre in China gelebt und für deutsche Medien von dort berichtet – unter anderem für die «Süddeutsche Zeitung».

SRF News: Wie zeigt sich die totale Überwachung im chinesischen Alltag?

Kai Strittmatter: China war immer ein autoritärer Staat, eine Diktatur. Das Ganze hat unter der Herrschaft von Xi Jinping jetzt aber eine neue Qualität angenommen, vor allem in Bezug auf die Überwachung. Auch weil der Partei jetzt ganz neue Mittel zur Verfügung stehen, die Mittel des Informationszeitalters: künstliche Intelligenz und Big Data. Das heisst, dass sie sich plötzlich den ganz alten Traum aller Diktatoren und autoritären Herrscher erfüllen kann, nämlich die wirklich lückenlose Überwachung eines jeden.

Sie schreiben von Polizisten mit Videobrillen, die in Sekunden die Identität von Bürgern erfassen können, von der Echtzeitüberwachung und der Auswertung aller Aktivitäten im Internet. Das klingt nach Science-Fiction...

Vieles von dem ist in Ansätzen auch bei uns vorhanden; wie wir uns online bewegen, wie wir unsere Gehirne «auslagern» in unsere Smartphones. In China geht der Staat aber ein paar Schritte weiter. Erstens hat die Staatssicherheit den kompletten Zugriff auf die Smartphones. Und zweitens nutzt sie die künstliche Intelligenz, deren Hauptanwendungsgebiet im Moment die Überwachung ist, landesweit. Die Volkszeitung hat dieses Frühjahr verkündet, dieses Netz an Überwachungskameras – sie nennen es das Himmelsnetz – sei bereits in der Lage, jeden Chinesen in einer Sekunde zu identifizieren.

Die Regierung will wissen, wie sie ihre Eltern behandeln, ob sie bei Rot über die Ampel gehen, ob sie schwarz in der U-Bahn fahren und so weiter.

Das Sozialkreditsystem, das bis 2020 eingeführt werden soll, wird «System der sozialen Vertrauenswürdigkeit» genannt. Was steckt dahinter?

Da stecken mehrere Dinge dahinter: Das Vertrauen beziehungsweise das grosse Misstrauen gegen jeden und gegen das System. Das ist – wie in allen autoritären Systemen – ein grosses Problem. Die Chinesen haben entdeckt, dass ihnen das auch im Wirtschaftsleben Probleme macht. Aufgrund der vielen Skandale vertrauen die Leute auch den Firmen nicht mehr. Da sagte man sich in Peking: «Es ist doch besser, wenn wir jede einzelne ihrer sozialen Aktionen und ihre moralischen Handlungen in Echtzeit erfassen, bewerten und auswerten. Und am Schluss wissen wir, ob jemand ein vertrauenswürdiger Mensch ist.» Die Regierung will wissen, wie ihre Bürger ihre Eltern behandeln, ob sie bei Rot über die Ampel gehen, ob sie schwarz in der U-Bahn fahren und so weiter.

Ziel ist also die Schaffung eines ehrlichen, vertrauenswürdigen Menschen. Aber wie wird man das? Indem man nicht bei Rot über die Strasse geht?

Genau. Ihr Verkehrsverhalten, ihr Verhalten gegenüber ihren Kollegen und ihren Familienangehörigen, aber auch ihr Onlineverhalten, wie sie kommentieren, ob sie stabilitätsgefährdende Äusserungen machen, aber auch ihr Kaufverhalten, wie schnell sie bezahlen. Anhand dessen werden sie beurteilt. Dann gibt es Sanktionen. Wenn man ein guter, ehrlicher, vertrauenswürdiger Mensch ist, kriegt man zum Beispiel Kredite oder Flugtickets billiger. Oder es gibt negative Sanktionen, also Strafen.

Welche Folgen hat das für die Chinesinnen und Chinesen?

Offizielles Ziel dieses Systems ist es, den vertrauenswürdigen Menschen zu schaffen, Vertrauensbrecher werden mit Sanktionen belegt. Offiziell soll das System erst 2020 eingeführt werden, aber schon jetzt gibt es schwarze Listen. Diese Personen dürfen keine Tickets mehr für Hochgeschwindigkeitszüge oder Flüge kaufen. Sie dürfen auch nicht mehr erster Klasse fahren. Zuhause kriegen sie nur noch langsames Internet.

Junge Leute mit Smartphones auf einer Treppe, im Hintergrund Hochhäuser im Bau
Legende: China hat einen bemerkenswerten Wandel von einem Entwicklungsland hin zu einem der dynamischsten Motoren der Weltwirtschaft vollzogen. Millionen Chinesen profitieren davon. Reuters

Das führt dazu, dass sie versuchen, sich möglichst konform, gehorsam und ehrlich zu verhalten, um in dem System möglichst gut eingestuft zu werden.

Sie schreiben, wir müssten uns damit abfinden, dass dieses Programm in China sehr erfolgreich sein wird. Das sei ein grosses Problem. Welches?

Die Herausforderung für uns ist zweierlei. Einerseits haben wir hier selber grosse Konzerne, die ganz neidisch nach China schauen und sagen: «Wahnsinn! Schaut, mit welcher Leidenschaft, mit welcher Wucht sich die Chinesen in die neuen Technologien stürzen! Wir müssen das auch machen, sonst werden wir abgehängt.» Wir müssen ganz stark aufpassen, dass uns das nicht entgleitet. Und das andere ist, dass diese Neuerfindung der Diktatur zu einer Zeit stattfindet, in der sich die westliche Demokratie gerade selbst demontiert, während wir von Autokratien in die Zange genommen werden.

China will eine Ordnung nach seinen Wertvorstellungen, nach seinen Normen. Das sind die Werte und Normen der Kommunistischen Partei, einer leninistischen Diktatur.

Viele Leute reden über Russland in Europa. Dabei ist China die viel grössere Herausforderung für uns, weil China finanziell stärker ist, und weil Xi letztes Jahr etwas getan hat, was es lange nicht mehr gab: Er hat offiziell verkündet, dass China wieder ins Zentrum der Welt marschieren und mitbestimmen will. China will eine Ordnung nach seinen Wertvorstellungen, nach seinen Normen. Das sind die Werte und Normen der Kommunistischen Partei, einer leninistischen Diktatur. Und damit werden wir noch stark zu kämpfen haben.

Das Gespräch führte Samuel Wyss.

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