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Dringender Handlungsbedarf Gefahr von Missbrauch in katholischer Kirche besteht weiter

Eine Studie im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz kommt zum Schluss, dass es radikale Änderungen braucht.

3677 Kinder und Jugendliche sind Opfer von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland geworden. Verübt wurden die Taten von 1600 Klerikern, wie eine Studie, die von der Deutschen Bischofskonferenz initiiert wurde, zeigt. Untersucht wurden Fälle aus rund 70 Jahren.

Die Dunkelziffer sowohl bei den Opfern wie auch den Tätern dürfte deutlich höher sein. Für Knaben und Mädchen besteht zudem weiterhin die Gefahr des Missbrauchs durch Priester. Denn laut einer Studienverfasserin sei davon auszugehen, dass «auch für die Zukunft mit solchen Fällen zu rechnen ist».

«Wir haben den Opfern nicht zugehört»

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Mann mit roter Kappe hält Bibel hoch.
Legende: Keystone

Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Marx, hat bei der Vorstellung der Studie die vielen Opfer von sexuellem Missbrauch unter dem Dach der Kirche in aller Form um Entschuldigung gebeten. «Allzulange ist in der Kirche Missbrauch geleugnet, weggeschaut und vertuscht worden. Für dieses Versagen und für allen Schmerz bitte ich um Entschuldigung», erklärte Marx.

Er fügte an: «Ich schäme mich für das Vertrauen, das zerstört wurde; für die Verbrechen, die Menschen durch Amtspersonen der Kirche angetan wurden; und ich empfinde Scham für das Wegschauen von vielen, die nicht wahrhaben wollten, was geschehen ist und die sich nicht um die Opfer gesorgt haben.»

Das gelte auch für ihn selbst. «Wir haben den Opfern nicht zugehört. All das darf nicht folgenlos bleiben.» Er konstatierte: «Viele Menschen glauben uns nicht mehr. Und ich habe dafür Verständnis.»

Die Studienmacher – Forscher der Universitäten Mannheim, Heidelberg und Giessen – fordern deshalb, den 2010 eingeleiteten Weg der Aufarbeitung des Missbrauchskandals in wichtigen Punkten «radikal» zu ändern. So müssten die Verantwortlichen in den Bistümern sich konkret und im Einzelfall zu ihrer Verantwortung bekennen und Fehlverhalten schonungslos offenlegen.

Sie empfehlen unter anderem, die Untersuchung von Missbrauchsvorwürfen zu beschleunigen und die katholische Sexualmoral insgesamt zu überdenken. Auch müssten die Strukturen und Hierarchien der Kirche überprüft werden.

Mangelnder Einblick zu Originalakten

Thomas Schüller, Professor für Kirchenrecht an der Universität Münster, ist erschüttert vom Ergebnis der Studie. «Die Zahlen zeigen deutlich, dass über viele Jahrzehnte systematisch Kinder und Jugendliche missbraucht wurden.» Sein Eindruck sei, «dass die katholische Kirche alles dafür getan hat, den Schirm der Heiligkeit darüber zu legen, um die Taten zu vertuschen».

An der Präsentation der Studie wurde auch Kritik laut. Gemäss den Autoren hatten sie teilweise keinen Zugang zu Originaldaten der Kirche. Einige Bistümer sollen Akten manipuliert oder sogar zerstört haben. «Wenn man zu validen Ergebnissen kommen will, muss man direkt in die Akten schauen», ist Schüller überzeugt. «Dann wäre eine wesentlich grössere Anzahl Täter überführt und eine noch grössere Anzahl Betroffene ermittelt worden.»

Tausende deutsche Kleriker im Verdacht

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Kleriker hält Rosenkranz in Hand und betet.
Legende: Für die Studie wurden zahlreiche Akten gesichtet.

Für die Studie lagen 38'156 Personal- und Handakten von Geistlichen aus den Jahren 1946 bis 2014 vor. Daraus ergeben sich Missbrauchsvorwürfe gegen 1670 Kleriker, was einem Anteil von 4,4 Prozent der geprüften Geistlichen entspricht. Besonders ausgeprägt sind die Vorwürfe gegen Gemeindepriester, bei denen sich 5,1 Prozent des Missbrauchs schuldig gemacht haben sollen.

Aber auch aus einem anderen Grund sind die nun aufgedeckten Fälle vielleicht nur die Spitze des Eisbergs: Sexualstraftaten in katholischen Schulen, Kinderheimen oder Ordensgemeinschaften wurden in dieser Studie nicht berücksichtigt. Das habe damit zu tun, dass die Orden autonom seien und ihre internen Angelegenheiten selber regelten, erklärt der Kirchenrechtler.

«Das ist eigentlich ein Skandal», so Schüller. «Gerade weil diese Orden in Deutschland, Österreich und der Schweiz sehr viele Schulen, Bildungseinrichtungen und Pflegeheime betreiben, müsste man sie als Vergleichsstudie miteinbeziehen.» Insofern sei die vorliegende Studie ein Anfang. Aber: «Es müssen weitere Studien folgen – vor allem unabhängige Studien, die tatsächlich in der Breite das Material einsehen können.»

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