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Drohende Eskalation um Taiwan «China versucht über viele Wege, Einfluss in Taiwan zu nehmen»

Die US-Parlamentspräsidentin Nancy Pelosi hat trotz aller Warnungen Pekings Taiwan besucht. Dies hat China verärgert. Wie es den Einwohnern von Taiwan mit dem Besuch geht, weiss der freie Journalist Klaus Bardenhagen, der in Taiwan lebt.

Klaus Bardenhagen

Freier Journalist in Taiwan

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Bardenhagen berichtet seit 2008 aus Taiwan. Er schreibt für Print- und Onlinemedien und arbeitet für TV- und Radiosender.

SRF News: Was halten die Menschen in Taiwan vom Besuch von Nancy Pelosi?

Klaus Bardenhagen: Wie ich die Stimmung hier in der Gesellschaft einschätze, sagt eine Mehrheit der Menschen hier, dass es gut ist, dass Taiwan von wichtigen Politikern aus wichtigen Ländern besucht wird: «Der Besuch zeigt uns, dass wir nicht allein stehen gegen dieses riesige China, das Taiwan kontrollieren möchte. Andererseits müssen wir jetzt abwarten, was China aus seinen Drohungen macht und wie sehr Peking die Lage eskalieren lässt», sagen sie. Die Reaktion Pekings wird in den kommenden Tagen die Stimmung in der Bevölkerung beeinflussen.

Taiwan ist für die Grossmächte China und die USA eine wichtige Insel. Fühlen sich die Einheimischen nicht oftmals vergessen in diesem Konflikt?

Ja. Einerseits fühlen sie sich oft vergessen, auch in den Medien.

Die Menschen in Taiwan haben die Erfahrung gemacht, dass man aus verschiedenen Gründen ein Spielball zwischen zwei Grossmächten ist

Andererseits haben die Menschen in Taiwan auch die Erfahrung gemacht, dass man aus verschiedenen Gründen – die geostrategische Lage, die Bedeutung der Computerindustrie, der Chipindustrie – ein Spielball zwischen diesen beiden Grossmächten ist und dass oft über die Köpfe der Taiwaner hinweg debattiert wird, als ob Taiwan ein unbewohnter Felsen wäre und dass es nur darum gehe, wer ihn zuerst besetzt. Das hat auch das Bewusstsein der Menschen geformt.

Was halten die Menschen in Taiwan von Chinas Drohungen?

Davon halten sie gar nichts, denn sie möchten ihr Geschick selbst bestimmen, wie sie es die letzten Jahrzehnte getan haben.

De facto hat die Volksrepublik China auf Taiwan nichts zu melden: Die Menschen wählen ihre eigene Regierung, die haben ihre eigene Armee, kontrollieren ihre Grenzen, haben ihre eigene Wirtschaft, geben Pässe aus.

De facto hat die Volksrepublik China auf Taiwan nichts zu melden. Die Menschen wählen ihre eigene Regierung, die haben ihre eigene Armee, kontrollieren ihre Grenzen, haben ihre eigene Wirtschaft, geben Pässe aus. Wenn China sich anmasst, bedrohlich zu werden und sogar militärische Aktionen folgen zu lassen, dann ist das, wie wenn ein Grosser, Starker, den Kleinen, Schwächeren terrorisiert. So sehen die Taiwaner sich oft.

China versucht nicht nur militärisch zu intervenieren, sondern unter anderem auch mit Desinformation. Was bekommen Sie davon mit?

Ja, es gab an dem Tag von Pelosis Besuch mehrere Falschmeldungen, die über Social Media verbreitet wurden. Angeblich sei eine chinesische Rakete auf den internationalen Flughafen abgefeuert worden und chinesische Kampfjets seien über die Mittellinie der Taiwan Strasse geflogen. Das musste das Verteidigungsministerium widerlegen. Wer dahintersteckt, ist schwer herauszufinden. Zudem wurden offenbar öffentliche Bildschirme, Terminals in Bahnhöfen und in einigen Geschäften gehackt. Man kann davon ausgehen, dass China auf ganz vielen Wegen versucht, vor allem über soziale Medien, Einfluss in Taiwan zu nehmen.

Ranghohe Politiker haben sich mit Nancy Pelosi getroffen. Versuchen sie innenpolitisch einen Vorteil herauszuholen oder gibt es auch kritische Stimmen?

Quer durch die Parteienlandschaft ist begrüsst worden, dass Nancy Pelosi Taiwan besucht hat. Zumindest in den offiziellen Statements hat niemand etwas Kritisches gesagt. Da ist man sich der Bedeutung der USA als wichtigstem Verbündeten – auch ohne diplomatische Beziehungen – bewusst. Die Präsidentin Taiwans sowie der Parlamentspräsident haben Pelosi getroffen. Auch die Oppositionspartei hat diesen Besuch eindeutig begrüsst.

Das Gespräch führte Nicolà Bär.

Heute Morgen, 04.08.2022, 06:00 Uhr ; 

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