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Drohnenangriffe auf Moskau «Vergeltung ist verboten, Abwehr aber nicht»

Seit über einem Jahr bombardiert Russland die Ukraine. Nun bekommt Russland den Krieg selber zu spüren. Ziele in der russischen Hauptstadt Moskau wurden am Dienstag mit Drohnen angegriffen. Zwei Personen wurden dabei leicht verletzt, mehrere Häuser geringfügig beschädigt. Russland macht die Ukraine für die Angriffe verantwortlich, was diese aber dementiert. Die Drohnenangriffe auf Moskau werfen die Frage auf, wie weit das Recht der Ukraine geht, sich selbst zu verteidigen. Oliver Diggelmann erläutert, was das Völkerrecht unter Selbstverteidigung versteht.

Oliver Diggelmann

Professor für Völkerrecht

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OIiver Diggelmann lehrt an der Universität Zürich Völkerrecht, Öffentlichkeitsrecht und Staatsphilosophie. Neben Aufenthalten an Universitäten in Grossbritannien, den USA, Deutschland und Ungarn, war er persönlicher Mitarbeiter des Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte EGMR.

SRF News: Darf sich die Ukraine völkerrechtlich betrachtet auch auf russischem Territorium selbst verteidigen?

Oliver Diggelmann: Ja, die Ukraine darf sich klar auch in Russland wehren. Um den Angriff abzuwehren oder auch nur zum Stoppen zu bringen, kann es nötig sein, auch auf fremdem Gebiet militärisch vorzugehen. Die Grundidee ist ja die der Notwehr. Das ist im Grundsatz erlaubt.

Die Verhältnismässigkeit ist ohnehin gegeben, da es um die Existenz der Ukraine als selbstständiger Staat geht.

Setzt das Völkerrecht Grenzen bei der Selbstverteidigung?

Ja. Zunächst braucht es Verhältnismässigkeit insgesamt. Die ist hier aber ohnehin gegeben, da es um die Existenz der Ukraine als selbstständiger Staat geht. Weiter dürfen nur militärische Ziele angegriffen werden. Es gelten im Wesentlichen die gleichen Regeln wie bei der Abwehr in der Ukraine selbst, also etwa Kasernen, Ausbildungsplätze, Militärflugplätze, aber eben keine Wohngebiete, Schulhäuser, Spitäler etc.

Ein angeseilter Mann flickt eine Fassade.
Legende: Nach einem mutmasslich ukrainischen Drohnenangriff werden die Schäden an einem Gebäude in Moskau beseitigt. Keystone/Sofia Sandurskaya

Wäre es zulässig oder verhältnismässig, wenn die Ukraine mit Truppen in Russland einmarschieren würde?

Die Antwort ist klar Ja. Es ist wieder die Notwehridee. Das kann Teil der Abwehr des Angriffs sein.

Vergeltung ist verboten, Abwehr aber nicht.

Vergeltung ist verboten, Abwehr aber nicht. Selbst eine zeitweilige Besetzung von Teilen Russlands könnte allenfalls abgedeckt sein, soweit es eben um die Beendigung des Angriffs geht.

Was würde es bedeuten, wenn die Ukraine Ziele in Russland mit Militärmaterial angreifen würde, das sie zur Verteidigung auf dem eigenen Territorium erhalten hat und eben nicht, um Russland anzugreifen?

Nun, wie die Dinge heute stehen, ist ukrainisches Operieren in Russland völkerrechtlich nur Abwehr, von wem auch immer die Waffen stammen. Völkerrechtlich ist das kein Angriff, sondern eben wirklich Selbstverteidigung. Wenn die USA nun aber den Einsatz der von ihnen gelieferten Waffen auf russischem Territorium nicht wollen, dann ist das eine blosse politische Lieferbedingung. Die Logik dahinter ist allerdings klar: amerikanische Waffen in Russland gegen Russland? Das wäre offenkundig eine brandgefährliche Situation.

Grundsätzlich ist es so: Waffenlieferanten sind nicht Kriegführende, egal wo die Waffen dann zum Einsatz kommen.

Würden Unterstützer der Ukraine dann zu Kriegsbeteiligten?

Das ist eine wichtige Frage. Die Antwort ist aber nicht ganz einfach. Grundsätzlich ist es so: Waffenlieferanten sind nicht Kriegführende, egal wo die Waffen dann zum Einsatz kommen, ob in Russland oder in der Ukraine selbst. Sie helfen militärisch bei der sogenannten individuellen Selbstverteidigung der Ukraine mit. Es gibt aber eine Grenze. Wenn die Unterstützung nun so zentral wird, dass sie das militärische Ergebnis sozusagen bestimmt, dann kann ein nicht Kriegführender auch zur Kriegspartei werden, so der aktuelle wissenschaftliche Stand. Wo diese Grenze aber genau verläuft, ist schwierig.

Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.

Echo der Zeit, 31.05.2023, 18 Uhr ; 

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