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Ein Jahr nach der Sintflut Emilia Romagna: Die Menschen helfen sich selbst

Vor einem Jahr stand die Stadt Faenza unter Wasser. Nun ist aufgeräumt. Auf die Entschädigung warten die Menschen noch.

«Bassa Italia», niedriges Italien, so heisst das Stadtviertel unten am Fluss Lamone. Hier hört man noch immer Baulärm, denn man ist noch immer daran, die Schäden der grossen Flut zu beseitigen. Hier stand das Wasser vor einem Jahr bis zu 8 Meter hoch, erzählt eine Anwohnerin. «Das Wasser reichte bis zu meiner Decke», sagt Anna Liberani. Alles habe sie verloren. Ihre Möbel schwammen in einer braunen Suppe.

Vor einem Jahr: Die grosse Verwüstung

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Ein Blick von oben auf ein Wohnquartier: Dort, wo Strassen sein sollten, ist ein Fluss.
Legende: Vor einem Jahr standen Dreiviertel des Städtchens Faenza unter Wasser. Keystone/Emanuele Valeri

Sintflutartige Regenfälle gingen vor einem Jahr über der norditalienischen Region Emilia Romagna nieder. Dämme brachen, ganze Landstriche und Teile von Städten standen unter Wasser, 17 Menschen starben in den Fluten.

Ein Jahr später ist auf den ersten Blick nur noch wenig von der grossen Flut zu sehen. Trotzdem bleibt noch immer viel zu tun und fast alle warten weiter auf die versprochene Entschädigung.

Die Rentnerin musste ihre Wohnung verlassen und lebte bis vor kurzem bei ihrem Sohn und ihrer Tochter. Unterdessen ist sie wieder zurück in ihrer sanierten Wohnung.

50'000 Euro hat sie für die Bauarbeiten und für neue Möbel bezahlt. Vom Staat, der schnelle Entschädigung versprochen hatte, erhielt sie bisher aber erst 3000. «Mein Mann und ich waren unser ganzes Leben lang wie Ameisen». Mit Ameisen meint Liberati: Wir waren immer fleissig und haben Geld beiseitegelegt. Nur darum konnten sie ihre Wohnung sanieren.

7000 Personen warten auf Entschädigung

Der Fluss Lamone überschwemmte auch höhergelegenen Quartiere Faenzas, etwa die malerische «Piazza del Popolo» mit Kathedrale und Rathaus. Drei Viertel der Stadt mit rund 50'000 Einwohnerinnen und Einwohnern standen unter Wasser. Auch das Elektro-Geschäft von Carlo Fanti. Alle seine Fernseher, Kühlschränke oder Waschmaschinen waren kaputt. Entschädigung hat auch er bisher keine erhalten.

Faenza in der Emilia Romagna ein Jahr nach der Überschwemmung

Wie Rentnerin Liberati musste auch Ladenbesitzer Fanti auf sein Erspartes zurückgreifen. «Hilf Dir selbst, so hilft Dir Gott. Das war unser Motto», sagt er mit bitterem Lachen. Eine Viertelmillion Euro hat er aus eigener Tasche investiert.

Rund 7000 Leute warten in Faenza auf die von Rom versprochene Entschädigung. Bisher aber seien erst zehn dieser Fälle abgewickelt und das Geld ausbezahlt, erklärt Massimo Bosi. Er ist Mitglied der Stadtregierung. Die Entschädigung sei mit viel Bürokratie verbunden, es werde wohl noch lange dauern, bis sämtliche Gesuche bearbeitet seien. In Italien braucht es oft viel Geduld, auch nach Erdbeben geht es meist lang, bis der Staat Opfer entschädigt.

Präventionsarbeit des Bevölkerungsschutzes

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Massimo Bosi ist in Faenza verantwortlich für den Bevölkerungsschutz. Seit der Überschwemmung vor einem Jahr sei viel gelaufen. Den Damm des Flusses Lamone habe man auf dem ganzen Stadtgebiet erneuert, erhöht und verstärkt: «Der neue Damm sollte die Stadt heute schützen können, auch bei Starkregen wie vor einem Jahr.» Damals schwoll der Flusspegel von einem Meter 50 in kurzer Zeit auf über 13 Meter an.

Grosse Sorgen bereitet Bosi die Lage flussaufwärts, Richtung Apennin, wo der Lamone entspringt. Dort müsste man riesige Rückhaltebecken anlegen, damit in Zukunft nicht alles Wasser sofort abfliesst. Doch dafür müsste man Land enteignen und Milliarden investieren. Leider sei beides bisher noch nicht geschehen. Man müsse das Tempo erhöhen, das fordert auch der Bauernverband «Coldiretti». Denn mit dem Klimawandel werde es häufiger Dürren und dann plötzliche, sintflutartige Niederschläge geben.

Pietro Montanari arbeitet seit Jahren für den Bauernverband in Faenza. Er sagt: «Auch Bäuerinnen und Bauern seien für die schweren Schäden des Hochwassers bisher nicht entschädigt worden.» Denn die Landwirte seien in der Regel gegen Hagel oder Frost, nicht aber gegen solche Katastrophen versichert. Man warte auf den Staat. Wobei sich der Funktionär sicher ist, dass die Entschädigungen – mit Verspätung allerdings – eintreffen werden.

Glück im Unglück: Wurzeln nicht erstickt

Montanari steht auf einem Feld, auf dem das braune Wasser vor einem Jahr während mehrerer Tage über einem Meter stand. Damals befürchteten viele, die Wurzeln der hier wachsenden Pfirsich-, Aprikosen- und Nektarinenbäume würden unter Wasser ersticken. Doch das sei zum Glück nicht eingetroffen: «Dass die Bäume überlebten, war für uns eine erfreuliche Überraschung.» Die Natur habe sich als stärker erwiesen als zuerst befürchtet.

Und stark, sagt Montanari, seien hier auch die Leute gewesen. Alle hätten sofort angepackt. Und innert weniger Wochen Felder und Äcker von Schlamm und Unrat befreit. Nun hoffen alle, dass die Flut nicht so bald wieder kommt.

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Echo der Zeit, 6.5.2024, 18 Uhr

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