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Entlassung aus Haft in Belarus «Es gibt nur sehr selten gute Nachrichten aus Minsk»

Die Schweiz hat einen diplomatischen Erfolg zu vermelden. Es ist dem Departement für Auswärtige Angelegenheiten gelungen, Natallia Hersche freizukriegen. Die schweizerisch-belarussische Doppelbürgerin war im Herbst 2020 bei einer Demonstration gegen das Regime in Minsk verhaftet worden. Journalistin Maryna Rakhlei kann sich vorstellen, weshalb Alexander Lukaschenko Hersche freiliess.

Maryna Rakhlei

Journalistin und Buchautorin

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Die Belarusin ist in Minsk geboren und aufgewachsen. Als Journalistin und Buchautorin ist sie eine kritische Beobachterin ihrer alten Heimat. Sie schreibt unter anderem für n-ost , einem Netzwerk für Osteuropaberichterstattung.

SRF News: Wie aussergewöhnlich ist Natallia Hersches Freilassung angesichts der vielen Gefangenen in Belarus?

Maryna Rakhlei: Es ist schon sehr aussergewöhnlich. Es gibt zurzeit mehr als 1000 politische Gefangene in Belarus, und nur sehr selten gibt es gute Nachrichten. Aber diese Woche kamen schon zwei Menschen frei. Auch ein Geschäftsmann und Philanthrop, Alexander Wassiljewitsch. Und der Philosoph Wladimir Mazkewitsch, der vor zwei Wochen einen Hungerstreik angefangen hatte, um gegen seine Festnahme zu protestieren, hat diesen nun pausiert. Vielleicht hat er auch gute Nachrichten bekommen, die ihm das ermöglichen.

Gibt es Gründe, weshalb Belarus offener sein könnte?

Das Regime gibt es schon seit mehr als 26 Jahren und immer, wenn es unter starken Druck seitens Russland gerät, gibt es Öffnungen und Freiräume, die geschaffen werden, damit es dem Westen etwas vorzeigen kann. Aktuell ist Lukaschenko in Moskau zu Besuch.

Nach jeder Militärübung stellt sich die Frage, ob die Russen danach wieder abziehen.
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Putin hat über Kooperationen im Militärbereich gesprochen. Es halten sich derzeit 30'000 russische Truppen für eine Militärübung in Belarus auf. Lukaschenko sprach über wirtschaftliche Kooperationen. Er erwartet von Putin einen Kredit und bekommt diesen jetzt nicht.

Warum erhöht das den Druck auf Lukaschenko?

Im Prinzip geht es um diese Militärübungen. Die finden regelmässig in Belarus statt. Jedes Mal stellt sich die Frage, ob die Russen danach wieder abziehen, dass sie nach Hause gehen. Lukaschenko als jemand, der nur in sehr wenigen Ländern als ein legitimer Präsident angesehen wird, hat kaum Spielraum, um beeinflussen zu können, dass die russischen Truppen in der Tat abgezogen werden.

Die Schweiz hat erst seit Kurzem wieder eine Botschafterin in Minsk. Der Posten war unbesetzt, weil unklar war, ob man Lukaschenko das Beglaubigungsschreiben überreichen soll, weil das indirekt als Anerkennung gewertet werden könnte. Nun wird ein Zusammenhang mit der Freilassung vermutet. Was denken Sie?

Ich kann mir vorstellen, dass ein Zusammenhang möglich ist. Und ich verstehe auch diesen politischen und vielleicht auch moralischen Spagat für die Schweizer. Einerseits ist es schon eine Anerkennung von einem Präsidenten, der nicht als legitim gilt. Andererseits ist es eine Möglichkeit, für die eigenen Bürgerinnen und Bürger präsent zu sein als eine Vertretung eines westlichen Staates, was ich begrüsse.

Ich verstehe diesen politischen und vielleicht auch moralischen Spagat für die Schweizer.
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Was ist aus der Protestbewegung geworden, die 2020 nach der gefälschten Präsidentschaftswahl ihren Anfang nahm?

Der Druck hat Spuren hinterlassen. Es braucht nicht viele Gründe, um für mehrere Jahre hinter Gitter zu kommen. Die Leute sind in der Tat eingeschüchtert und haben Angst. Deswegen traut sich das Regime auch, Ende Februar eine Abstimmung über eine neue Verfassung durchzuführen. Diese soll Lukaschenkos Macht festigen.

Werden viele Leute an die Urnen gehen?

Das glaube ich nicht. Aber ich kann mir vorstellen, dass Studenten wählen gehen müssen, dass manche Leute mit Bussen zu den Wahllokalen gebracht werden. Dass das System einfach garantieren wird, dass das Bild entsteht, dass viele zur Urne gegangen sind.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

Echo der Zeit, 18.02.2022, 18:00 Uhr ; 

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