Zum Inhalt springen

Header

Audio
Sicherheitsexperte Peter Neumann ordnet die jüngsten Entwicklungen ein
Aus Echo der Zeit vom 28.10.2023. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 23 Sekunden.
Inhalt

Eskalation im Nahen Osten «Das ist der Beginn der israelischen Bodenoffensive»

Drei Wochen nach den Massakern der Hamas-Terroristen an israelischen Zivilisten hat die israelische Armee ihre Angriffe auf den Gazastreifen weiter verstärkt. In der Nacht zu Samstag stiessen erneut Bodentruppen in den Norden des abgeriegelten Küstengebiets vor. Anders als bei begrenzten Einsätzen dieser Art in früheren Nächten zogen sich die Panzerverbände jedoch zunächst nicht wieder zurück. Sicherheitsexperte Peter Neumann ordnet die jüngste Eskalation der Ereignisse in Nahost ein.

Peter Neumann

Peter Neumann

Terror-Experte

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Professor Peter Neumann ist Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence am Londoner Kings College.

SRF News: Ist das nun der Beginn der lange angekündigten israelischen Bodenoffensive?

Peter Neumann: Ja, das glaube ich. Obwohl man sich wochenlang darüber gestritten hat, wie diese genau aussehen soll. Was wir jetzt sehen, ist eine erste, kleinere Welle, die sich wahrscheinlich in den nächsten Tagen und Wochen intensivieren wird. Der israelische Verteidigungsminister hat gesagt, er gehe von mindestens drei Monaten Kämpfen aus.

Welches Kalkül steckt hinter der schrittweisen Eskalation?

Das hat damit zu tun, dass man sich noch Gedanken darüber macht, welche politischen Ziele man überhaupt erreichen möchte. Wie soll der Gazastreifen nach dieser Bodenoffensive aussehen? Wer soll da regieren? Das ist noch gar nicht wirklich entschieden worden.

Ich glaube, da kommt noch viel, viel mehr.

Zum anderen sind da die über 200 israelischen Geiseln. Die möchte man befreien. Es gibt Vermittlungsbemühungen von Katar, unterstützt von den Amerikanern. Man erwartet, dass da in den nächsten Tagen noch was herauskommen könnte. Das will man nicht aufs Spiel setzen.

Verschwommenes Schwarzweissbild mit Panzern drauf.
Legende: Dieser Screenshot aus einem von den israelischen Verteidigungsstreitkräften IDF veröffentlichten Video zeigt die israelischen Streitkräfte bei einer Bodenoperation im Gazastreifen. Imago

Gefährdet der israelische Druck die Sicherheit der Geiseln?

Es ist gerade an dem Kipppunkt, wo diese Geiselverhandlungen noch weitergehen können. Wenn der Druck sich deutlich erhöht, dann ist der Punkt erreicht, wo die Hamas die Vermittlungsbemühungen abbrechen würde. Deswegen glaube ich, geht Israel momentan noch relativ vorsichtig vor, auch wenn es nicht so aussieht. Aber ich glaube, da kommt noch viel, viel mehr.

Die Hamas insgesamt vernichten zu wollen, das ist zu ambitioniert.

Ist das Kriegsziel, die Vernichtung der Hamas, überhaupt zu erreichen?

Da bin ich sehr skeptisch. Das Kriegsziel ist ja in Wirklichkeit auch von Premierminister Netanjahu sehr vage formuliert worden. Es wurde gesagt, wir wollen die Hamas vernichten. Welche Hamas denn? Die militärische, terroristische Seite der Hamas? Die politische Seite? Ist es Hamas als religiöse oder gesellschaftliche Bewegung? Das alles sind ja Facetten von Hamas. Und deswegen ist Hamas so eng mit der Gesellschaft im Gazastreifen verwoben.

Gefahr der Eskalation auf die ganze Region

Box aufklappen Box zuklappen

Laut Neumann stecken hinter dem Vorgehen Israels auch taktische Überlegungen, um andere Player wie die Hisbollah im Libanon von einem Kriegseintritt auf Seiten der Hamas abzuhalten. Die Hisbollah habe bisher noch nicht so reagiert, wie zu erwarten gewesen wäre. «Das war recht zögerlich.» Auch die Iraner, die die Hamas und die Hisbollah unterstützen, hätten zwar gesagt, sie hätten den Finger am Abzug, aber sie würden erst offen in diesen Konflikt einschreiten, wenn es zu dieser massiven Bodenoffensive komme.

«Momentan ist es wirklich wichtig, wie sich alle Seiten verhalten», so Neumann zur derzeitigen Situation. Er denke, dass die Iraner nicht offen in den Konflikt eintreten wollten. Und auch im Libanon wolle man keinen Konflikt. «Aber natürlich ist der Druck der Strasse riesig, und es wird jetzt vieles darauf ankommen, was in den nächsten Tagen passiert. Ob dieser Konflikt tatsächlich auf Israel beschränkt bleibt oder ob dieser Konflikt möglicherweise auf die ganze Region übergreift.»

Es sei ein extrem schmaler Grat für alle Beteiligten. «Und ich glaube, das war in den letzten Wochen auch die Motivation des US-Einsatzes sowohl von Aussenminister Blinken als auch von Präsident Joe Biden, dass man versucht hat, auf die Israelis einzuwirken, ihnen zu erklären, was verschiedene Aktionen für Konsequenzen haben können.»

Ich glaube, es wäre ein legitimes und erreichbares Ziel für die Israelis zu sagen, wir schalten die militärische, terroristische Seite der Hamas aus, damit es ihr für Jahre nicht mehr gelingt, eine solche Offensive gegen unser Land zu starten. Aber die Hamas insgesamt vernichten zu wollen, das ist zu ambitioniert.

Warum wird das Ziel trotzdem so formuliert? Ist es der Druck der Bevölkerung?

Ja. Und weil Netanjahu vermutlich die Tatsache überkompensieren will, dass während seiner Regierungszeit die Bedrohung offensichtlich ignoriert wurde.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

Echo der Zeit, 28.10.2023, 18:00 Uhr;

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel