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EU-Budget und Rettungsfonds Rechtsstaatlichkeit: Das Europäische Parlament zeigt Zähne

Bereits im Sommer einigten sich die EU-Staats- und Regierungschefs auf einen faulen Kompromiss. Nur lose und relativ unverbindlich wollten die sie die Auszahlung von EU-Geldern an Auflagen knüpfen, rechtsstaatliche Prinzipien einhalten zu müssen.

Ungarn und Polen drohten mit einem Veto. Nur Dank vagen Formulierung und komplizierteren Abstimmungsverfahren fand man schliesslich eine Einigung, bei der alle ihr Gesicht wahren konnten.

Der Ärger in zahlreichen Mitgliedsstaaten und vor allem im Europäischen Parlament war gross. In der Folge mussten in einem Trilog die EU-Kommission, der Rat der Mitgliedstaaten und das Parlament den faulen Kompromiss der Chefinnen und Chefs in rechtsgültige Texte giessen.

Historisches Ergebnis

Das Resultat ist aus der Sicht der EU-Parlamentarier eine historische Wegmarke. Das ist nicht übertrieben. Denn in fast allen Punkten konnte sich die Verhandlungsdelegation gegenüber den Mitgliedsstaaten durchsetzen.

Erstmals in der Geschichte der EU ist es nun möglich, die Missachtung von grundlegenden EU-Werten im grossen Stil finanziell zu ahnden. Der ursprünglich auf dem Tisch liegende Vorschlag sah nur vor, Kürzungen von EU-Finanzhilfen zu erlauben, wenn direkt ausbezahlte EU-Gelder veruntreut würden.

Im nun beschlossene Kompromiss könnten auch EU-Gelder gekürzt werden, wenn ganz grundsätzlich gegen Grundrechte verstossen wird. Ein unabhängiges Justizsystem oder garantierte Medienfreiheit sind zum Beispiel solch allgemeine Grundsätze, welche alle Mitgliedsstaaten garantieren müssen.

Kürzungen können angedroht werden

Das EU-Parlament hat auch klare Fristen durchgesetzt, die alle Entscheidungsgremien zu befolgen haben. Damit soll verhindert werden, dass Sanktionen auf die lange Bank geschoben werden können.

Verstösst ein Mitgliedsstaat gegen rechtsstaatliche Prinzipien kann er schon nach neun Monaten mit der Kürzung von EU-Geldern bestraft werden.

Auch Steuerbetrug oder Steuerhinterziehung von Personen oder Unternehmen– alles Praktiken, die EU-Gerichte in der Vergangenheit beanstandeten – können Anlass dafür sein, dass Mitgliedstaaten EU-Beiträge gekürzt werden.

Ebenfalls durchsetzen konnten die Parlamentarierinnen einen Mechanismus, der garantieren soll, dass bei Verstössen letztlich nicht die Endbegünstigten wie Bauern oder Studentinnen, die von der Unterstützung der EU abhängig sind, für die Taten ihrer Regierungen bestraft werden.

Das Parlament blieb standhaft

Der ausgehandelte Kompromiss muss nun noch vom Rat und dem Parlament definitiv verabschiedet werden. Einzelne Staaten können den Entscheid aber nicht mehr blockieren. EU-Bürgerinnen und -Bürger dürfen zur Kenntnis nehmen, dass ihre Volksvertreterinnen gute Arbeit abgeliefert haben.

EU-Subventionen darf künftig nur noch einstreichen, wer sich an demokratische Regeln hält. Regierungen in einigen Ländern wird das gar nicht gefallen. Weil das Europäische Parlament standhaft blieb beim Verteidigen von demokratischen Grundwerten, verdient es viel Lob.

Und das Parlament legt offen, wie mutlos die Staats- und Regierungschefs im Sommer verhandelten.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Radio SRF4 News vom 06.11.2020, 12.30 Uhr

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