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EU-China-Gipfel Ukraine-Krieg stellt bisherige China-Politik der EU infrage

«Wandel durch Handel» – dieser Strategie folgend setzte insbesondere Deutschland auf immer engere Wirtschaftsbeziehungen mit China. Die Bilanz dieser Politik ist im besten Falle mässig. Immer mehr europäische Firmen kritisieren die Einseitigkeit. Chinas Unternehmen können sich im europäischen Binnenmarkt breit machen, während europäische Firmen in China überall an staatlich kontrollierte Grenzen stossen.

Demokratie zählt nichts

Chinas harsches Vorgehen gegenüber Hongkong hat so manchen europäischen Politiker eines Besseren belehrt.

Menschenrechte, der Schutz von Grundrechten und freie Meinungsbildung haben für die chinesische Führung keinen Wert – unabhängig vom politischen Preis, den die kommunistische Partei hierfür bezahlen muss gegenüber dem demokratischen Westen.

China bleibt Russland treu verbunden. Trotz des Krieges, den Putin angezettelt hat. Wer auf gesunden Menschenverstand und Rationalität setzte, wird in Moskau und Peking nicht verstanden oder einfach belächelt.

Auch bleibt China Russland verbunden, weil das im Interesse der chinesischen politischen Elite ist. Beide Länder foutieren sich um Demokratie und eine liberale Gesellschaftsordnung.

Ukraine-Krieg könnte in Europa zu Umdenken führen

Europa wacht nur langsam aus der Träumerei auf – und sehr spät beginnt ein Umdenken. Nicht die Klimapolitik, bisher primär ein vollmundiges Lippenbekenntnis, provozierte ein radikales Umdenken in den EU-Mitgliedsstaaten und der EU-Zentrale, sondern erst der Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine.

Erst jetzt ist tatsächlich ein ausgeprägter politischer Wille erkennbar, von fossilen Energieträgern Kohle, Gas und Öl wegzukommen. Alle Konsumentinnen und Konsumenten in Europa bezahlen einen hohen Preis für die politische Fehleinschätzung in der Vergangenheit, gegenüber Russland so lange so gutgläubig politisiert zu haben.

Die Folge müsste eigentlich ein Umdenken in der China-Politik sein. Die neu zusammengesetzte deutsche Regierungskoalition erlaubt sich, gegenüber China etwas mehr auf Distanz zu gehen. Was für Deutschland gilt, gilt auch für die EU: Der Kurswechsel verlangt höchstes politisches Feingefühl. Zu gross ist die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit geworden. Europa kann es sich nicht leisten, sich so rasch und so konsequent von China abzugrenzen, wie das von Russland als Gaslieferant nun versucht wird.

Europa muss unabhängiger werden

Das erklärt die diplomatisch, milde Wortwahl nach dem EU-China-Gipfel. Europa zähle darauf, dass China die Sanktionen nicht unterwandere, die Europa gegenüber Russland verhängt hat. Das mag China verstehen und die chinesischen Parteiführer zur Zurückhaltung bewegen, vorübergehend. Langfristig ist damit aber nichts gewonnen.

Europa muss mehr Ausgewogenheit anstreben in den Wirtschaftsbeziehungen zu China. Damit steigt der politische Preis für China, weiterhin Zugang zum bedeutenden europäischen Markt zu haben. Europa könnte viel politische Unabhängigkeit gewinnen.

Charles Liebherr

EU-Korrespondent

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Charles Liebherr ist EU-Korrespondent von Radio SRF. Davor war er unter anderem in der SRF-Wirtschaftsredaktion tätig, später war er Frankreich-Korrespondent. Liebherr studierte in Basel und Lausanne Geschichte, deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie.

Tagesschau, 01.04.2022, 12:45 Uhr

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