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Fabrice Leggeri: «Wir tun vieles, um Leben zu retten»
Aus News-Clip vom 02.06.2021.
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EU-Grenzschützer in der Kritik Frontex-Chef: «Ich mache weiter»

Die EU-Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex koordiniert seit 2005 die Zusammenarbeit der Staaten an den Aussengrenzen Europas. Der Franzose Fabrice Leggeri übernahm den Chefposten im Januar 2015, kurz bevor die Flüchtlingskrise begann. Im Nachgang der Krise wurde das Mandat von Frontex ausgeweitet, bis 2027 sollen sowohl Budget als auch Personalbestand weiter stark erhöht werden. Die Agentur steht dabei immer wieder in der Kritik, auch wegen Menschenrechtsverletzungen. Fabrice Leggeri weist diese Kritik im SRF-Interview zurück.

Fabrice Leggeri

Fabrice Leggeri

Chef von Frontex

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Fabrice Leggeri stammt aus dem französischen Mulhouse in der Nähe von Basel. Er machte Karriere in der französischen und in der EU-Verwaltung und wurde 2015 Chef von Frontex, der EU-Agentur für Grenz- und Küstenwache. Frontex hat ihren Hauptsitz im polnischen Warschau.

SRF: Herr Leggeri, einerseits erwartet man von Ihnen, dass Sie die Menschenrechte respektieren. Anderseits gibt es den Wunsch, dass möglichst wenige Menschen nach Europa kommen. Ist Ihr Auftrag nicht widersprüchlich?

Fabrice Leggeri: Nein, es gibt keinen Widerspruch. Wir halten uns an die Werte der EU – und ich nehme an, es sind auch die Werte der Schweiz. Schutzbedürftige Menschen sollen einen Zugang zum Asylwesen haben. Auf der anderen Seite dürfen gemäss Schengener Grenzkodex nicht alle Menschen einreisen, bestimmte Bedingungen müssen erfüllt sein. Da gibt es keinen Widerspruch.

Sie könnten viel Leid und Tod vermeiden, sagt Michelle Bachelet, die Hochkommissarin der Uno für Menschenrechte. Hat sie nicht recht?

Wir tun vieles, um Leben zu retten, insbesondere im Mittelmeer. Wir haben jede Woche Vorfälle mit Migranten auf Schlauchbooten. Dank unserer Flugzeuge können wir sie entdecken und melden. Aber leider gibt es zu viele Opfer. Es sind Opfer krimineller Netzwerke, sie sind in eine Falle geraten. Wir müssen auch auf internationaler Ebene mit anderen Organisationen dazu beitragen, dass die potenziellen Opfer sich dessen bewusst sind. Es ist eine sehr traurige Situation.

Die Vorwürfe gegen Frontex: Darum geht es

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Unterlassene Hilfeleistung: Frontex soll Informationen über Schiffe in Seenot, die zum Beispiel auf Patrouillenflügen gesammelt werden, zu spät an andere Schiffe weitergeben oder Hinweisen von Nichtregierungsorganisationen nicht nachgehen. So seien zum Beispiel nach einem Schiffbruch im April im östlichen Mittelmeer mehr als 120 Menschen gestorben – weil die Rettung zu spät kam.

Push-Backs: «To push back» heisst: zurückdrängen. Vereinfacht gesagt: Wenn eine Küstenwache das Schiff einer Schlepperbande zurückdrängt, ist das zwar rechtens. Wenn aber Menschen zurückgedrängt werden, die Asyl beantragen wollen, ist dies illegal. Denn es gibt in der EU das Recht auf einen Asylantrag. Im östlichen Mittelmeer zwischen Griechenland und der Türkei seien Menschen zum Beispiel auf künstlichen Inseln ausgesetzt worden, ohne einen Asylantrag stellen zu können.

Pull-Backs: «To pull back» heisst: zurückschleppen. Frontex, so der Vorwurf, versorge die libysche Küstenwache heimlich mit Informationen über Flüchtlingsboote, damit diese vom Mittelmeer zurück nach Libyen geschleppt werden können. In ein Bürgerkriegsland, in das nach geltendem europäischem Recht eigentlich niemand zurückgeschafft werden darf.

Es gibt viele Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Können Sie ausschliessen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Frontex involviert sind?

Wir haben die Pflicht, die Grundrechte einzuhalten. Wir haben einen Verhaltenskodex und ethische Vorschriften. Was die Ägäis, also das östliche Mittelmeer, betrifft, gab es vor einigen Monaten Vorwürfe. Die Vertreter der Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission haben die Vorwürfe überprüft und sind zum Schluss gekommen, dass es keine Beweise dafür gibt, dass Frontex sich an illegalen Rückweisungen beteiligt hat.

Wir haben die Pflicht, die Grundrechte einzuhalten, einen Verhaltenskodex und ethische Vorschriften.

Im zentralen Mittelmeer ist jetzt von Pull-Backs die Rede. In bestimmten Situationen leiten wir Informationen über Seenot-Situationen an die libysche Küstenwache weiter. Das ist unsere Pflicht, wenn keine andere Lösung möglich ist. Wir informieren aber zuerst Italien oder Malta.

Frontex, so lautet der Vorwurf, informiere bewusst zuerst die libysche Küstenwache – statt andere Schiffe. Was sagen Sie dazu?

Wir haben keine Befugnis, zu koordinieren. Das ist die Befugnis nationaler Behörden, das heisst von Italien, Malta, Tunesien oder auch Libyen, weil Libyen eine Seenotrettungs-Zone definiert hat. Die internationale Gemeinschaft hat das nicht in Frage gestellt. Das heisst: Aus einer rechtlichen Perspektive gilt diese Rettungs-Zone, und wir müssen deshalb mit den Koordinierungs-Zentren kommunizieren.

Wir haben keine Befugnis, ein Boot zur Seenotrettung anzuweisen.

Wenn keine Küstenwache vor Ort ist, dann müssen natürlich auch private Schiffe eingreifen. Aber die Befugnis, ein Boot zur Seenotrettung anzuweisen, haben wir nicht. Es hat dringende Fälle gegeben, in denen wir direkt mit Booten von Nichtregierungsorganisationen kommuniziert haben – aber wirklich nur in einer extremen Situation, wenn es dringend ist.

Wie erklären Sie sich denn, dass immer mehr Kritik geübt wird an Frontex?

Ich würde nicht sagen, dass es immer mehr Kritik gibt. Es hat Missverständnisse gegeben. Zum Beispiel ist ganz neu, dass jetzt eine europäische Agentur Grenzbeamte und Küstenwächter in Uniform einsetzt. Wir wissen, dass manche Nichtregierungsorganisationen das nicht mögen, vielleicht auch nicht verstehen. Und ich glaube, dass viele Bürger auch nicht verstehen, dass die EU- und Schengen-Staaten mitmachen, weil sie auf politischer Ebene entschieden haben, dass wir eine gemeinsame europäische Grenz- und Küstenwach-Agentur brauchen.

Ich bin entschlossen, weiterzuarbeiten.

Mehrere Parteien im EU-Parlament fordern ihren Rücktritt. Kommen Sie der Forderung nach?

Ich bin entschlossen, weiterzuarbeiten. Es gibt auch viele Mitglieder des Parlaments, die Frontex und mich persönlich unterstützen. Das ist, wie gesagt, eine sehr politische Frage, es geht um politische Meinungen. In einer Demokratie muss das so sein.

Das Gespräch führte Sebastian Ramspeck.

#SRFglobal, 3.6.2021, 22.25 Uhr;

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