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Europäische Abhängigkeit Dreht Russland Europa bald den Gashahn zu?

Die europäische Energiestrategie kommt nicht ohne russisches Gas aus. Es ist eine Strategie für Friedenszeiten, die Europa im Ernstfall teuer zu stehen käme.

Treffen die Befürchtungen der grössten Pessimisten ein, wird es bald kalt in Europa. Über 40 Prozent des Gasbedarfs in Europa werden von Russland gedeckt. Mit ein Grund dafür ist, dass die eigene Erdgas-Förderung in den letzten Jahren stark gedrosselt worden ist – unter anderem aus klimapolitischen Überlegungen.

Doch die Nachfrage nach Gas richtet sich nicht nach den hehren Zukunftsvisionen von Regierungen. Gas spielt für den Energiemix in Europa noch immer eine zentrale Rolle: Beispielsweise betrug der Anteil von Erdgas am Energiekonsum Italiens im Jahr 2020 insgesamt 42 Prozent.

Besonders im Osten Europas ist die Abhängigkeit von russischem Gas gross. So trat im vergangenen Oktober ein neuer Liefervertrag zwischen Russland und Ungarn in Kraft, mit dem die Regierung von Victor Orbán den Gasbedarf bis ins Jahr 2036 sicherstellen will.

Kurzfristig kaum Alternativen

Auch für Länder in Mitteleuropa gehört Gas aus Russland seit Jahren zur Energiestrategie. Mit Nord Stream 2 steht ein Projekt in den Startlöchern, mit dem die Lieferkapazität für Länder wie Deutschland deutlich erhöht würde. Es überrascht daher nicht, dass die deutsche Bundesregierung im geopolitischen Poker mit dem Kreml bisher eher zurückhaltend agiert.

Einen Ausweg aus der Abhängigkeit gibt es kurzfristig nicht. Auch der Kreml weiss: Dreht man Europa den Gashahn zu, könnten andere Lieferanten wie Algerien oder Aserbaidschan nicht auf die Schnelle einspringen. Zudem wäre Flüssiggas aus den USA oder dem Emirat Katar mengenmässig zumindest kurzfristig keine Alternative.

Auch Russland hat Interessen

Die Konsequenz dieser Abhängigkeit: Erdgas wird massiv teurer. Denn die Nachfrage übersteigt das Angebot, wie damals in der Ölkrise in den 1970er Jahren. Optimistisch stimmt aber, dass Russland sich bisher an die vereinbarten Lieferverträge hält.

Würde der Kreml einen Kurswechsel vollziehen und den Gashahn zudrehen, reichen die Reserven laut Experten noch ungefähr bis Ende März. Ein solches Szenario gilt aber als unwahrscheinlich. Denn auch Russland ist aus wirtschaftlichen Gründen auf Gaslieferungen nach Europa angewiesen.

Tagesschau, 09.08.2022, 19:30 Uhr

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