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Polen und die Teufelsaustreiber
Aus Echo der Zeit vom 05.04.2024. Bild: Imago
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Exorzismus in Polen Tausende gehen hin, einige werden Opfer

In der polnischen Kirche gibt es aussergewöhnlich viele Exorzisten, viele Menschen nehmen ihre Gebete in Anspruch. Manchmal missbrauchen sie Gläubige aber drastisch – so wie in Irenas Fall.

Irena heisst eigentlich anders. Sie ist 30, wirkt wie ein junges Mädchen, feingliedrig. Und es ist nicht selbstverständlich, dass sie es zum Gespräch ins Café in Warschaus Innenstadt geschafft hat. «Jede Zugfahrt ist schwierig für mich, weil ich an Kirchen vorbeifahren muss.»

Einmal, sagt sie, habe sie geglaubt, den Priester im Tram zu sehen, der sie jahrelang gequält habe. Sie schrie auf, stürzte nach draussen, brach auf der Strasse zusammen, ein Krankenwagen holte sie ab. «Ich fühle mich, als hätte ich Jahre meines Lebens verloren», sagt sie. «Alles ist ein langer, schwieriger Kampf.»

Die Grossmutter warnt vor der Enkelin 

Als Irena ein Kind war, passte oft die Grossmutter auf sie auf. Eine «Mohair-Wollberet»-Grossmutter. So nennt man in Polen streng religiöse, ältere Frauen. Irena durfte erst essen, nachdem sie gebetet hatte. Aber sie hasste das Beten.

Zeichnung einer älteren Frau mit Kreuz am Hals und Hut auf dem Kopf.
Legende: Irenas Grossmutter war streng religiös. Pawel Kostowski

Als Teenager hörte sie düstere Musik, trug schwarze Kleider. Die Grossmutter warnte die Nachbarn in der Kleinstadt vor ihrer Enkelin, sagte, Irena sei von Dämonen besessen. Irenas Eltern glaubten der Grossmutter. Dann lernte die junge Frau religiöse Gleichaltrige kennen. Auch diese sagten, vielleicht sollte Irena einen Exorzismus machen lassen. «Ich war ein fügsames Mädchen», sagt Irena, «ich ging zum Priester, damit alle Ruhe gaben. Das war mein Verderben.» 

Der Priester, Irena nennt ihn M., zündete Kerzen an in einem dunklen Raum, betete mit einer Gruppe Menschen für sie. Schon das machte ihr Angst. Bei späteren Treffen war er mit ihr allein. Er legte sich auf sie, küsste sie auf den Mund, massierte sie zwischen den Beinen mit Öl. Liess sie eine Zeit lang bei sich wohnen, schlief mit ihr im Bett. Sie verzweifelte – und kam trotzdem zweieinhalb Jahre lang nicht los.

Zeichnung: Ein Priester zündet auf einem Tisch kerzen an.
Legende: Der Priester zündete Kerzen an für Irena. Pawel Kostowski

Krankhafter Reinlichkeitswahn

«Ich war abhängig von ihm, wie so viele Opfer.» Etwas in ihr habe daran geglaubt, dass er ihre Dämonen vertreiben werde. Etwas anderes aber hasste ihn. Irena trank absichtlich viel vor den stundenlangen Teufelsaustreibungen, sodass sie in die Hose urinierte, sodass er sie nicht berührte. «Widerlich, aber wirksam.»

Zeichnung einer Frau mit Blut am Handgelenk.
Legende: Irena war so verzweifelt, dass sie sich die Pulsadern aufschnitt. Pawel Kostowski

Priester M. befahl ihren Eltern, alle Dinge, die Irena gehörten, wegzuschmeissen, alles sei vom Teufel besessen. Sie war darüber so traurig, dass sie sich die Pulsadern aufschnitt, ins Spital kam. Der Priester begleitete sie, sagte, mit dem Blut fliesse auch der Teufel aus ihrem Körper, Irenas Familie glaubte ihm. M. liess das Mädchen erst in Ruhe, als sie Flöhe bekam. Sein Reinlichkeitswahn sei krankhaft gewesen, sagt sie.

Irena dachte, sie müsse sterben 

Die Eltern schleppten sie danach aber zu anderen Exorzisten in ganz Polen, einen wird sie nie vergessen. «In seinen Augen sah ich das pure Böse, reinen Sadismus, ich hatte panische Angst.» Er drohte, ihr die geliebte Katze wegzunehmen. In einem Keller fesselte er sie an ein Bett, andere Männer kamen. Sie steckten ihr ein Kreuz tief in den Mund, gossen Wasser in ihren Hals. Irena war sicher, dass sie sterben würde. Doch sie überlebte und floh, nur mit den Kleidern, die sie trug und mit der Katze. Jahrelang hatte sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Familie.

Katze
Legende: Irena floh von ihrem Peiniger, nur mit den Kleidern, die sie trug, und mit ihrer Katze. Pawel Kostowski

Exorzismus wegen Karate 

Irena hat ihre Geschichte Pawel Kostowski erzählt. Dieser hat daraus einen Film gemacht über Exorzismus in Polen. «Ich bin gläubig und ich bin Katholik», sagt er. Gerade deshalb wolle er zeigen, welche Abgründe sich auftäten in der polnischen Kirche. In Polen gibt es aussergewöhnlich viele Exorzisten, Kirchenkenner gehen von bis zu 150 aus. Und tausende Menschen, sagt Pawel Kostowski, gingen zu ihnen.

Rechenschaft ablegen müssen die Teufelsaustreiber nicht, sie werden direkt vom Bischof ernannt. Auskunft über ihre Arbeit gibt die Kirche nicht. «Ich würde zwar nicht sagen, dass Exorzismus Mainstream ist in der polnischen Kirche, aber er wird akzeptiert vom Mainstream.» Kirchennahe Psychologen schicken manche Patienten zu Exorzisten. Zum Beispiel, weil diese Harry Potter lesen, meditieren, Heavy Metal oder fernöstlichen Kampfsport mögen. Wie verbreitet Missbrauch ist, weiss niemand. Irena ist eine Ausnahme, kaum ein Opfer spricht darüber.

Pawel Kostowski besucht Irenas ersten Peiniger M. mit versteckter Kamera im Beichtstuhl. Dieser gibt zu, dass Irena eine Zeit lang bei ihm gewohnt, dass er in ihrem Bett geschlafen hat. «Manchmal ist das nötig», sagt er. Er streitet aber ab, Irena zwischen den Beinen massiert zu haben. Nachdem Pawel Kostowskis Film erschien, entzog die Kirche Priester M. die Lizenz zum Exorzieren. Priester ist er immer noch.

Exorzisten-Ausbildung: Ein einwöchiger Kurs

Miroslaw Jadlosz war früher Priester und Exorzist. Inzwischen ist er ausgetreten aus der Kirche, zu eng seien ihm die kirchlichen Dogmen gewesen, sagt er. Heute arbeitet als Lebensberater im Süden Polens. Demütigungen wie Kreuze im Mund oder sexueller Missbrauch, sagt er, hätten nichts mit Exorzismus zu tun: «Die Regeln der Kirche schreiben vor, dass ein Exorzismus nur aus Gebeten bestehen darf.» Allerdings sei es lächerlich, wie die Kirche Exorzisten ausbilde, er selbst habe bloss einen einwöchigen Kurs gemacht.

Auch in der Schweiz gibt es Exorzisten

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Weit über tausend Menschen, die glauben, sie seien von Dämonen besessen, suchen in der Schweiz jedes Jahr Hilfe bei Exorzisten – das ergab vor einigen Jahren eine Recherche von SRF.

Allerdings hat das Angebot in letzter Zeit abgenommen: Der Bischof von Chur beschloss vergangenes Jahr, keine Exorzisten mehr zu ernennen, nachdem der letzte Exorzist gestorben war. Bischof Joseph Maria Bonnemain sagte, es gebe heute genug medizinische und psychologische Therapien für Menschen, die sich besessen fühlten.

In der Schweiz sind die Teufelsaustreibungen seit Jahren umstritten, Psychiater und Psychologinnen sagen, sie könnten Menschen mit psychischen Erkrankungen davon abhalten, professionelle Hilfe zu suchen.

Jadlosz hält Teufelsaustreibungen heute für Unsinn. Nur ein einziges Mal habe er eine Frau erlebt, die ihn verunsichert habe, bei der er selbst erstaunt gewesen sei, was sie alles über seine Vergangenheit gewusst habe. Und er glaubt, dass es Leute gebe, denen Exorzismen helfen könnten, Leute, die gefangen seien in religiösem Wahn. Exorzismus sei aber immer nur ein Anfang, danach brauche es eine Therapie beim Psychologen, bei der Psychiaterin.

«Die Kirche hat Gott entehrt»

Irena hat eine jahrelange Psychotherapie hinter sich, hat gerade ein Studium als Restaurateurin abgeschlossen. Das Problem bei diesem Beruf in Polen: Der grösste Auftraggeber ist die Kirche.

Irena hat deshalb Angst, dass sie keine Arbeit bekommt, entweder weil sie den Umgang mit den Kirchenmännern nicht aushält oder weil die Kirche weiss, wer sie ist, dass sie ihre Geschichte öffentlich gemacht hat. Und ihr deshalb keine Aufträge gibt. Irena sagt, sie glaube immer noch an eine höhere Macht. Der Katholizismus aber sei eine Perversion. «Die Kirche hat so viel Unrecht begangen, dass sie Gott entehrt hat.»

Echo der Zeit, 5.4.2024, 18:00 Uhr

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