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Flüchtlinge in Griechenland «Langfristig keine Lösung, die Menschen von A nach B zu bringen»

Um das überfüllte Camp auf Lesbos zu entlasten, werden Flüchtlinge auf das Festland gebracht. Eine umstrittene Praxis.

Auf den griechischen Inseln landen derzeit so viele Migrantinnen und Migranten wie seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 nicht mehr. Auf Lesbos ist das Flüchtlingslager Moria total überfüllt. Deshalb bringen die Behörden seit gestern Menschen von den Inseln aufs Festland in die Hafenstadt Thessaloniki. Nur ein Tropfen auf den heissen Stein, findet Rodothea Seralidou.

Rodothea Seralidou

Freie Journalistin

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Die Journalistin berichtet seit 2011 für SRF und ARD aus Griechenland. Sie lebt in Athen.

SRF News: Sie haben das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos immer wieder besucht und von Gewalt und mangelnder Hygiene berichtet. Gehen die Leute nun freiwillig dort weg?

Rodothea Seralidou: Es dürfen nur diejenigen weg, die auf der Liste stehen. Besonders verletzliche und schutzbedürftige Menschen, vor allem Familien mit Kleinkindern. Selbstverständlich sind diese Menschen froh, aus Moria herauszukommen.

Menschen am Hafen mit Gepäck.
Legende: Die Flüchtlinge machen sich auf den Weg auf das griechische Festland. Keystone

Gleichzeitig herrscht aber auch grosse Verunsicherung, weil sie nicht wissen, was sie auf dem Festland erwartet. Griechische Medien haben darüber berichtet, dass laut Gerüchten das neue Camp genauso schlimm sei wie das Camp Moria, sodass sich einige der Flüchtlinge sogar versteckt haben sollen, um eben nicht aufs Festland zu gelangen.

Wohin werden diese Leute nun gebracht?

Sie werden grösstenteils in ein Camp an der Grenze zu Mazedonien gebracht. Das Camp hatte bisher Platz für 800 Menschen, tatsächlich sind aber schon 1000 dort untergebracht.

Die griechische Regierung geht davon aus, dass die Türkei das Thema Flüchtlinge momentan für sich ausspielt, um politischen Druck auf die EU aufzubauen.

Das Camp ist jedoch nicht vergleichbar mit den schlimmen Zuständen in Moria. Es werden grosse UNHCR-Zelte aufgestellt und das Camp wird erweitert, damit auch die Neuankömmlinge Platz finden. Laut der Regierung sei das Ganze provisorisch, bis ein weiteres Camp seine Türen öffnen kann.

In Moria waren 11’000 Menschen untergebracht, 1500 davon werden nun aufs Festland gebracht. Bringt das die nötige Entlastung?

Auf keinen Fall. Immer noch sind rund 9500 Flüchtlinge in einem Camp, das Platz für gerade mal 3000 hat. Es müssten weitaus mehr Menschen aufs Festland gebracht werden. Die griechische Regierung hat bisher aber keinen solchen Plan bekannt gegeben.

Alleine im August waren es 7000 Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln landeten. So viele, wie seit der Flüchtlingskrise vor vier Jahren nicht mehr. Weshalb diese massive Zunahme?

Die griechische Regierung geht davon aus, dass die Türkei das Thema Flüchtlinge momentan für sich ausspielt, um politischen Druck auf die EU aufzubauen. Laut EU-Türkei-Deal von 2016 ist die Türkei verpflichtet, ihre Küsten stärker zu kontrollieren und Flüchtlingsboote abzufangen.

Mann vor Zelt in Flüchtlingscamp.
Legende: Das Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos ist nach wie vor überfüllt. Keystone

Dass das anfangs sehr gut funktioniert hat und jetzt nicht mehr, zeigt nach Auffassung der griechischen Regierung, dass es absichtlich passiert. Hintergrund könnten die zurzeit schlechten Beziehungen zwischen der Türkei und der EU sein – unter anderem wegen der türkischen Probebohrungen in Gewässern des EU-Mitgliedsstaates Zypern.

Weshalb werden nicht mehr Leute von den griechischen Inseln aufs Festland gebracht?

Weil der Deal zwischen der EU und der Türkei das verbietet. Die ankommenden Flüchtlinge und Migranten müssen bis zur Bearbeitung ihres Asylgesuchs auf den Inseln bleiben, damit sie zurück in die Türkei gebracht werden können. Nur bei verletzlichen Gruppen darf eine Ausnahme gemacht werden. Die meisten Camps auf dem Festland sind mittlerweile zudem bereits voll. Langfristig ist es also auch keine Lösung, dass die Menschen lediglich von A nach B gebracht werden.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

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