Gitter versperren den Zugang zum weitläufigen Park, damit die Bagger ihr Werk ungestört vollenden können: Sie sind daran, einen gigantischen Trümmerhaufen wegzuräumen. Das ist alles, was vom monumentalen Denkmal, das an den Sieg der Sowjets über die Nazis erinnern sollte, übrig geblieben ist. Die Bronzefiguren, der 79 Meter hohe Obelisk: alles weg.
Das Denkmal abzureissen, war eher dumm.
Sie interessiere sich nicht für Politik, sagt eine 16-Jährige mit wildem Haar und einem Nasenpiercing, die mit ihrem Freund – einem Ukrainer – unterwegs ist. Sie stammt aus einer russischsprachigen Familie. «Doch das Denkmal abzureissen, war eher dumm.» Denn so werde die Geschichte des Landes ausradiert. Egal, wie man jetzt zu Russland stehe: Lettland sei nun mal Teil der Sowjetunion gewesen.
Last von den Schultern genommen
Das Denkmal hätte schon lange abgerissen werden sollen, meint hingegen ein 44-Jähriger mit Anzug und Krawatte. Dass es jetzt weg sei, sei eine Erleichterung. «Ich denke, es gibt bei der russischen Minderheit die Sehnsucht nach einem russischen Imperium und nach der Sowjetunion», fährt er fort. Sie sähen Lettland immer noch als Teil Russlands.
Er fühle sich, als sei eine Last von seinen Schultern gefallen, sagt auch der Politologe Filips Rajevskis. «Sie müssen wissen, wie dieses Denkmal errichtet wurde. Meine Mutter wurde – wie der Grossteil der Bevölkerung – gezwungen, das Bauwerk zu finanzieren. Sie musste monatlich rund zehn Prozent ihres Einkommens entrichten.» Das Denkmal sei unter Zwang gebaut worden.
Das Denkmal symbolisiert Vergewaltigungen, Morde, Deportationen – und sie feiern das jedes Jahr. Und wir mussten das schlucken.
Bis etwa 2007 habe sich niemand für das Denkmal interessiert, sagt Rajevskis. Doch dann machte der Kreml den Sieg im Zweiten Weltkrieg immer mehr zu einem zentralen Pfeiler der russischen Identität. Und man begann, den 9. Mai, den Jahrestag des Sieges, auch bei diesem Denkmal in Riga zu feiern.
Es habe jeweils ein Konzert gegeben, dann die Direktübertragung der Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau und am Abend ein riesiges Besäufnis. Jedes Jahr sei es hässlicher geworden, aggressiver, die Feiernden seien in Autos mit russischen Flaggen herumgekurvt. Und da sei bei vielen der Gedanke aufgekommen: Das Denkmal muss weg.
Russische Aggression in der Ukraine
Rajevskis sagt aber auch: «Ohne den Krieg gegen die Ukraine wäre nichts passiert.» Doch so sei das Denkmal zum Symbol für das Töten in der Ukraine geworden. In der Ukraine passiere dasselbe wie beim Einmarsch der Sowjets 1940 in Lettland: Vergewaltigungen, Morde, Deportationen. «Das Denkmal symbolisiert all das, und sie feiern das jedes Jahr. Und wir mussten das schlucken.»
Die russischsprachige Bevölkerung wird zunehmend als Risiko für die nationale Sicherheit betrachtet.
In einem Café sitzt Maria Kugel. Die Journalistin und russischsprachige Lettin ist absolut keine Anhängerin Putins. Der Abriss des Denkmals macht ihr trotzdem Sorgen. Denn er reihe sich in eine negative Entwicklung ein, die 2014 mit der Annexion der Krim durch Russland begonnen habe. «Die russischsprachige Bevölkerung wird zunehmend als Risiko für die nationale Sicherheit betrachtet.» Manche dächten sogar ans Auswandern.
Der Bürgermeister von Riga übrigens will an der Stelle, wo das Siegesdenkmal stand, einen Ort für die Jugend errichten: Spielplätze, einen Skatepark – einen Ort für alle, wie er sich ausdrückt. Mit dem Ziel, die Spaltung zu überwinden, in die Zukunft statt in die Vergangenheit zu blicken. Es ist zu hoffen, dass das gelingt.