Darum geht es: Japan will das im havarierten Atomkraftwerk Fukushima angesammelte radioaktive Wasser nach einer Behandlung ins Meer leiten – trotz des örtlichen Widerstands und der Bedenken von Nachbarländern. Das hat das Kabinett von Ministerpräsident Yoshihide Suga nun, gut zehn Jahre nach der schlimmsten Atomkatastrophe des Landes, beschlossen. Der Kraftwerksbetreiber Tokyo Electric Power Company (Tepco) will voraussichtlich in zwei Jahren mit der Einleitung des Wassers ins Meer beginnen.
Wie viel Kühlwasser soll ins Meer geleitet werden? Auf dem Gelände sind mehr als 1.2 Millionen Tonnen Wasser in mehr als 1000 riesigen Tanks gelagert. Tepco kühlt mit dem Wasser drei der Reaktoren, in denen es am 11. März 2011 nach einem Seebeben und einem darauf folgenden Tsunami zu einer Kernschmelze gekommen war. Fast 20'000 Menschen verloren damals ihr Leben.
Wie wird der Entscheid begründet? Auf dem Gelände der Atomruine Fukushima Daiichi gebe es im Jahr 2022 nicht mehr genügend Platz für die Behälter mit dem radioaktiven Wasser, sagen AWK-Betreiber Tepco und das japanische Kabinett. Örtliche Beamte und einige Experten sind allerdings gegenteiliger Ansicht.
Gibt es einen Platzmangel für die Tanks? «In Wirklichkeit gibt es noch sehr viel Platz für neue Tanks, da die Regierung das gesamte Gelände um das Atomkraftwerk aufgekauft hat», sagt der in Tokio lebende Journalist Martin Fritz. Er vermutet einen anderen Grund hinter dem Entscheid: «Ich denke, es geht darum, das Wasserthema aus den Schlagzeilen zu bekommen und das Kühlwasser loszuwerden.»
Lässt sich das Kühlwasser reinigen? Das radioaktiv verseuchte Wasser wird vor dem Einleiten in den Pazifik behandelt, allerdings lässt sich Tritium nicht herausfiltern. Die Regierung und auch der Betreiber sagen, Tritium sei in geringen Mengen nicht gesundheitsschädlich. Doch die Bürgerkommission für nukleare Energie in Tokio betonte, Tritium sei «immer noch radioaktives Material» und sollte nicht in die Umwelt gebracht werden. Im Normalbetrieb liessen alle AKW tritiumhaltiges Wasser ins Meer ein, sagt Martin Fritz. «Um die Aufregung zu dämpfen, will die Regierung das Wasser so stark verdünnen, dass internationale Standards für Tritium weit unterschritten werden.»
Wie glaubwürdig ist die Betreiberfirma Tepco? Eine wichtige Frage, die in der japanischen Öffentlichkeit nicht zum Thema geworden sei, sagt Journalist Martin Fritz. «Das Unternehmen ist in den letzten Jahren immer wieder durch Schlampigkeiten und mangelndes Risikobewusstsein aufgefallen. Es hat meiner Meinung nach aus der Fukushima-Katastrophe nicht viel gelernt. Warum sollte man Tepco jetzt glauben, dass das gefilterte Kühlwasser wirklich nur Tritium enthält?» Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hatte gefordert, dass das Kühlwasser von einer unabhängigen Stelle geprüft werde. Dies wurde allerdings abgelehnt. «Und das klingt doch wiederum so, als ob Misstrauen weiter gerechtfertigt wäre», so Fritz.
Was sind die Reaktionen? Viele Japaner sowie Umweltschützer und örtliche Fischereiverbände lehnen den Schritt strikt ab. Auch die Nachbarländer China und Südkorea haben die Entscheidung scharf kritisiert.
Das US-Aussenministerium teilte indes mit, Japan habe die Entscheidung transparent getroffen und scheine einen Ansatz gewählt zu haben, der den weltweit anerkannten Standards für nukleare Sicherheit entspreche.