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Fussball-WM in Katar Die WM, die Fifa und die Toten

15'000 oder 37 verstorbene Gastarbeiter? Der Menschenrechtsverantwortliche der Fifa nimmt Stellung zu den Todesfällen.

Wenn in Katar die Fussball-WM startet, ist das auch der Verdienst von Gastarbeitern, die in grosser Hitze auf den Baustellen geschuftet haben. Wie viele von ihnen dabei ums Leben kamen, ist umstritten. Im «Club» nahm der Fifa Menschenrechtsverantwortliche Stellung zu den Vorwürfen.

15'000, 6500 oder 3 + 37 Tote?

«Drei Menschen kamen direkt durch Unfälle auf der Baustelle ums Leben. 37 Arbeiter kamen in Katar ums Leben, während sie auf WM-Baustellen gearbeitet haben.» Andreas Graf, Menschenrechtsverantwortlicher bei der Fifa, besteht auf den Zahlen, die auch Fifa-Präsident Gianni Infantino nennt. Angezweifelt wird die Zahl jedoch von Menschenrechtsorganisationen. Auch Hans-Joachim Eckert, ehemaliger Chef der Fifa-Ethikkommission, findet sie unrealistisch: «Wenn Herr Infantino sagt, es seien nur drei Arbeiter in zehn Jahren auf den Baustellen der Fifa zu Tode gekommen, ist das menschenverachtend. Jeder Realist weiss, dass es weit mehr waren.»

Männer arbeiten am Al-Bayt-Stadion in Al Khor in Katar im Dezember 2019.
Legende: Männer arbeiten am Al-Bayt-Stadion in Al Khor in Katar im Dezember 2019. Keystone/EPA/ALI HAIDER

Die Zweifel werden auch durch katarische Statistiken genährt. 15'000 ausländische Menschen sind seit der WM-Vergabe 2010 in Katar gestorben. 6500 aus südostasiatischen Ländern, der Heimat der Gastarbeiter. Die Diskussion um die Zahl der Toten ist befremdlich.

Grosse Zahl ungeklärter Todesfälle

Störend sei auch, dass katarische Behörden die Todesursache verschleiern, sagt Lisa Salza von Amnesty International Schweiz: «Bei 70 Prozent der Arbeitsmigranten steht auf dem Totenschein plötzlicher Herzstillstand. Aber junge, gesunde 34-jährige Arbeiter sterben nicht einfach so en masse.»

Auch unabhängige Studien zweifeln an der Natürlichkeit des Todes. Der Hitzestress soll verantwortlich für Herzkreislaufversagen sein – verursacht durch körperliche Arbeit auf den Baustellen in sengender Hitze. «Man hat die WM auf den Winter verschoben, weil es sonst zu heiss wäre für Fussballspieler und Fans, aber die Arbeiter mussten im Sommer bauen.» Für Salza ist klar, die Menschenrechte hatten bei dieser WM keine Priorität.

Andreas Graf beteuert, die Fifa betreibe grossen Aufwand, um die Gesundheit sicherzustellen. «Wir haben drei verschiedene Programme im Arbeitsrechtsbereich», unter anderem für Bauarbeiter. «Auf Fifa-Baustellen gibt es keine ungeklärten Todesursachen.» Wichtig sei, dass erst der Gesundheitszustand untersucht werde. Denn «dass die Arbeiter gesund ins Land kommen, sei nicht immer der Fall gewesen», so Graf.

Dem widerspricht Menschenrechtsanwalt Anurag Devkota aus Nepal. «Vor der Ausreise nach Katar werden Arbeiter strengen medizinischen Tests unterzogen. Die nepalesische Regierung bescheinigt ihnen, dass sie gesund und fit für jede Art von körperlicher Arbeit sind.» Die Todesfälle seien verheerend: «Ein Gastarbeiter ernährt zu Hause mindestens fünf Personen. Der Verlust dieses Einkommens hat auch fatale finanzielle Folgen für ganze Familien in Nepal.»  

Fifa will selber keine Entschädigungen zahlen

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Die finanziellen Folgen für die Arbeiter könnte ein Entschädigungsfonds lindern, den Amnesty International von der Fifa fordert. Aber trotz erwarteter Einnahmen von 4.5 Milliarden Dollar im WM-Jahr, macht die Fifa keine Zahlungen an Angehörige und verweist auf bestehende Strukturen. «Es gibt in Katar einen Fonds der Regierung. Sie zahlt den ausstehenden Betrag und holt das Geld dann bei der Firma zurück.» Dies sei die nachhaltigste Lösung, so Graf. Für die Forderung von Amnesty, den Fonds auf 440 Millionen Dollar zu erhöhen – die Summe des Preisgelds – konnte der Fifa-Verantwortliche sich nicht erwärmen.

Hätte Katar die WM mit den neuen Kriterien erhalten?

Was tun, damit bei künftigen Vergaben wieder der Fussball und nicht die Menschenrechtsverletzungen im Vordergrund steht? Die Fifa hat die Vergabe der WM reformiert. Regierungen müssen mit der Bewerbung ein Konzept einreichen, mit dem sie die Einhaltung der Menschenrechte garantieren.

Hätte Katar mit den neuen Vergabekriterien die WM erhalten? «Das ist eine hypothetische Frage, für diese WM galten die Kriterien nicht», sagt Graf. Was die Reform hält, dürfte sich bei der Vergabe der WM 2030 zeigen. Als mögliche Bewerber werden die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten und Saudi-Arabien gehandelt.

Club, 15.11.2022, 22:25 Uhr

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