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G7-Gipfel Der Westen ringt mit dem Rest der Welt – und mit sich selbst

In der Weltpolitik tut sich gerade mehr, als einem lieb sein kann. Gräben vertiefen sich, Konflikte drohen zu eskalieren. Alte Allianzen werden gefestigt, neue geschmiedet.

Den jährlichen Gipfeltreffen der G7-Staaten kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Denn die Staats- und Regierungsoberhäupter der «Gruppe der Sieben» – USA, Japan, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich, Italien, Kanada – sehen sich als zentrale Schaltstelle für jenen Block, der gemeinhin als «Westen» bezeichnet wird.

Symbolträchtiges Treffen in Hiroshima

Drei Tage sind für den Gipfel, der am Freitag beginnt, reserviert. Wie jedes Jahr wird es Bilder geben von locker gekleidetem Spitzenpersonal in familiär anmutenden Gesprächsrunden. Doch statt wie üblich in einem malerischen Badeort oder Bergdorf trifft sich die G7 diesmal in der Hafenstadt Hiroshima, seit 1945 Sinnbild für atomare Zerstörung.

Die Schweiz im Visier der G7

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Am 14. April machte der «Tages-Anzeiger» einen Brief an den Bundesrat publik. Darin üben die G7-Staaten Kritik an der Schweizer Umsetzung der Sanktionen gegen Russland.

So habe die Schweiz zu wenig russische Gelder eingefroren. Bei Doppelbürgern und Doppelbürgerinnen sowie wegen des Anwaltsgeheimnisses seien ihr oft die Hände gebunden. Die Schweiz solle gefälligst der G7-Taskforce zu den Russland-Sanktionen beitreten, um die Umsetzung der Sanktionen zu verbessern. Unterzeichnet hatten den Brief die Botschafter und Botschafterinnen der G7-Staaten in Bern.

Das Antwortschreiben kam von der Schweizer Staatssekretärin Helene Budliger Artieda. Sie wies die Vorwürfe als falsch zurück. Einen Beitritt zur G7-Taskforce lehnt der Bundesrat ab. Mehrere Bundesräte stellten den Brief als eine Aktion der Botschaften von G7-Staaten in der Schweiz dar. Bei Gesprächen auf Ministerstufe sei er kein Thema gewesen. Von mehreren Botschaften hiess es aber, der Brief sei sehr wohl mit den Regierungen abgesprochen worden.

Am G7-Gipfel in Hiroshima dürfte die Schweiz selbst kein grosses Thema sein – der Umgang mit Ländern, welche die Russland-Sanktionen nicht oder aus Sicht der G7 unzureichend umsetzen, dagegen schon (siehe Haupttext). Vor allem zeigt der Brief der G7-Staaten, dass sich die Schweiz der West-Ost-Konfrontation nicht entziehen kann. Und dass die Sanktionspolitik Angriffsflächen bietet.

Im Zentrum dürften vier Fragen stehen, deren Ergebnisse am Sonntag in einer Gipfelerklärung zusammengefasst werden:

    • Wie weiter in der Ukraine? Mit Sanktionen gegen Russland und Waffen für die Ukraine haben die G7-Staaten zum Erfolg der Ukraine beigetragen. Doch ein Kriegsende ist nicht in Sicht. Im Grundsatz steht die G7 geschlossen hinter der Ukraine, doch es gibt Gesprächsbedarf. Die USA wollen Russland besiegt sehen. Sie vermuten hinter den chinesischen Vermittlungsbemühungen bloss einen Versuch, dem Verbündeten Russland Zeit zu verschaffen. Grossbritannien wird für Kampfjets für die Ukraine weibeln. Frankreich ist offen für einen Kompromiss, auch unter Vermittlung Chinas. Einigen könnte sich die G7 auf weitere Sanktionen, namentlich gegen Staaten, die Russland direkt oder indirekt unterstützen.
    • Wie weiter mit China? Nicht nur mit Blick auf Russland, Taiwan und das Südchinesische Meer nehmen die Spannungen zu. Zwischen dem Westen und China kommt es auch immer häufiger zu Wirtschaftsscharmützeln. Ausfuhren werden verboten, Einfuhren gekappt, Firmen und Manager ins Visier genommen. Die gegenseitigen Anschuldigungen werden schriller. Die G7 will dazu offenbar eine Erklärung verabschieden, zusätzlich zur allgemeinen Gipfelerklärung. Wie konkret und scharf der Wortlaut sein wird, ist offen.
    • Wie kann der Westen den Süden gewinnen? China umgarnt erfolgreich Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika. Peking verspricht Geschäfte ohne die Moralansprüche und Doppelmoral des Westens. Viele Staaten haben denn auch auf eine Verurteilung Russlands verzichtet. Die G7 will dagegenhalten. Gastgeber Japan hat acht weitere Staaten als Gäste nach Hiroshima eingeladen, darunter Indien, Brasilien und Indonesien. Die G7-Erklärung dürfte für sie das eine oder andere Zückerchen beinhalten.
    • Wie ehrgeizig soll der Klimawandel bekämpft werden? Wie bei der Ukraine gilt auch beim Klimawandel: Im Grundsatz ist sich die G7 einig, im Detail längst nicht immer. Fest steht: Bis 2030 sollen Wind- und Solarenergie massiv ausgebaut, bis 2035 die Treibhausgasemissionen um 60 Prozent reduziert werden. Ehrgeizigeren Zielen steht aber unter anderem Gastgeber Japan im Weg. Es will im eigenen Land am Ausbau der Kohleenergie festhalten. Rechtsverbindlich sind die Klima-Beschlüsse der G7 ohnehin nicht.

Eigentlich wollte US-Präsident Joe Biden den G7-Gipfel im Zuge einer Pazifikreise besuchen. Doch wegen des Budgetstreits und der drohenden Zahlungsunfähigkeit seines Landes beschränkt er sich auf einen Kurztrip nach Hiroshima. Der Westen ringt eben nicht nur mit dem Rest der Welt – sondern teils auch mit sich selbst.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

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10 vor 10, 18.05.2023. 21:50 Uhr

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