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G7 mit Elefanten im Raum Biden wird auf Goodwill stossen – schon weil er nicht Trump ist

Der Westen verliert an Gewicht und damit auch seine weltweite Dominanz. Umso stärker ist nun das Bedürfnis, zusammenzurücken. US-Präsident Joe Biden will deshalb den Gipfel der mächtigsten westlichen Staaten zu einer Art «Schulterschlusstreffen» machen. Das heisst: Im Zentrum der Diskussionen am G7-Treffen im britischen Cornwall steht ein Land, das gar nicht mit am Tisch sitzt, nämlich China.

USA waren unter Trump kein verlässlicher Partner

Die G7-Gipfel der vergangenen Jahre waren für die Teilnehmer mühsam und ihr Ergebnis enttäuschend. Der Grund hat einen Namen: Donald Trump. Der US-Präsident hielt nichts von multilateraler Zusammenarbeit und liess das die übrigen Staats- und Regierungschefs ständig spüren. Auf seinem ersten Gipfel 2017 im italienischen Taormina schwänzte er mehrere Veranstaltungen.

Beim zweiten Zusammenkommen brüskierte Trump die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, indem er zwar zunächst den Beschlüssen zustimmte, bereits auf dem Heimflug jedoch das G7-Schlussdokument buchstäblich in der Luft zerriss.

Ein Jahr später versuchte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit einer Charmeoffensive, Trump einzubinden, was ihm aber nur halbwegs gelang. Doch 2020, als Trump selber Gipfelgastgeber sein sollte, zeigte er sich dermassen desinteressiert, dass das Spitzentreffen der Mächtigen erstmals ausfiel. Es gab lediglich eine kurzen und praktisch ergebnislosen Video-Austausch des Siebnerklubs zur Coronakrise.

Neue Ära unter dem neuen US-Präsidenten

Doch Joe Biden steuert nun entschieden um. Er setzt wieder ganz auf die Zusammenarbeit der wichtigsten westlichen Wirtschaftsmächte. «Amerika ist wieder da!», signalisiert er gleich zum Gipfelauftakt. Es geht also auch darum, die G7-Gruppe wieder als relevantes Gremium aufzubauen, nachdem es vom disruptiven Trump beschädigt wurde.

Die Länder möchten wieder einen gemeinsamen Daseinszweck auf der Weltbühne finden. Bidens Überzeugung: Nur vereint kann der Westen dem aufstrebenden China und dem störrischen Russland die Stirn bieten. Dabei stellt er sich eine Aufgabenteilung vor: Die Europäer kümmern sich hauptsächlich um Russland, damit die USA sich voll auf den Hauptrivalen China konzentrieren können.

G7-Motto: Russland und China, wie weiter?

Die beiden Autokratien China und Russland werden also im Zentrum des G7-Gipfels 2021 stehen. Biden wird versuchen, die demokratische Welt hinter sich zu scharen. Doch da werden die europäischen G7-Mitglieder Grossbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien sowie Japan und Kanada nicht einfach applaudieren. Viele sehen in Bidens Kurs «Demokratien gegen Diktaturen» zu sehr ein Schwarz-Weiss-Denken.

Sie sind überzeugt und können gute Gründe dafür anführen, dass es in manchen Bereichen gar nicht ohne engere Zusammenarbeit geht: beim Kampf gegen den Klimawandel, bei Massnahmen gegen die längst nicht besiegte Corona-Pandemie, bei der Rüstungskontrolle, aber selbstverständlich auch in der Wirtschaft. Das weiss natürlich auch Washington. Letztlich wird es darum gehen, einen Weg zwischen Konfrontation und Kooperation zu finden.

Will heissen: Joe Biden wird bei seiner Amtskollegin und seinen Amtskollegen auf dem Gipfel in Cornwall zunächst auf viel Sympathie und Goodwill stossen. Allein schon deshalb, weil er nicht Donald Trump ist. Und weil mit ihm die USA wieder ein berechenbarer Partner geworden sind. Doch dass sie ihm blind folgen und seine aussenpolitische Stossrichtung übernehmen, ist keineswegs sicher.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 10.06.2021, 18:00 Uhr

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