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Geburtenrückgang in China «Der chinesische Optimismus ist noch nicht zurückgekommen»

Gemäss den neusten Zahlen schrumpft Chinas Bevölkerung schon das zweite Jahr in Folge. Ende 2023 lebten in der Volksrepublik China 1.41 Milliarden Menschen. Das sind gut zwei Millionen weniger als im Jahr davor. Der freie Journalist Fabian Kretschmer erklärt die möglichen Gründe dafür.

Fabian Kretschmer

Journalist

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Der Journalist und Autor Fabian Kretschmer berichtet aus Peking für diverse deutschsprachige Medien, darunter die österreichische «Die Presse» sowie die Berliner «Tageszeitung».

SRF News: Warum werden in China immer weniger Kinder geboren?

Fabian Kretschmer: 2022 gab es noch über neuneinhalb Millionen Neugeborene, 2023 waren es nur mehr neun Millionen, also ein Rückgang von 500'000. Die Gründe dafür unterscheiden sich nicht wirklich von denen, die man auch in Europa anführt. Die Leute leben moderner, traditionelle Familienwerte rücken in den Hintergrund und die Lebenskosten werden höher. Ich würde aber sagen, dass in China diese Entwicklungen extrem komprimiert eingetreten sind und sich schneller bemerkbar machen.

Ein Mädchen in einem weissen Röckchen spielt mit farbigen Ballons
Legende: In China gilt nicht mehr die Ein-Kind-Politik. Offiziell gilt nun die Drei-KInd-Politik. Keystone/Andy Wong/Archiv

Warum hat sich das in den letzten zwei Jahren so stark akzentuiert?

Das hat mit der Coronapandemie zu tun. Die Regierung hat ihre Null-Covid-Strategie gegen Ende 2022 gelockert und in der ersten Jahreshälfte 2023 kam es zu einem Anstieg der Sterberate. Langfristig haben die Pandemie und die rigiden Lockdowns in China dafür gesorgt, dass junge Leute verunsichert waren. Sie haben ihre Lebensentwürfe auf den Kopf gestellt und ein Ohnmachtsgefühl gehabt. Generell hat der Optimismus, den es in China immer gab, weil die Wirtschaftsleistung jedes Jahr gestiegen ist, ausgesetzt. Dieser Optimismus ist bislang nicht zurückgekommen, weil die Wirtschaft schwächelt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch. In diesem Klima setzt man keine Kinder in die Welt, sondern man wartet erst mal ab.

In Kinofilmen oder Fernsehserien werden Mütterrollen in den Vordergrund gestellt.

Bis vor nicht einmal zehn Jahren wollte die Regierung mit der Ein-Kind-Politik die Geburtenrate drosseln. Nun ist das Gegenteil eingetreten. Die Bevölkerung schrumpft. Was macht die Regierung?

Sie hat das Problem auch erkannt. Aus volkswirtschaftlicher Sicht in China ist dies vielleicht die grösste Herausforderung für den Aufstieg des Landes. Denn je älter eine Gesellschaft wird, umso langsamer wird sie wachsen. Es gibt mehr Rentner und weniger arbeitende Bevölkerung. Dieses Zeitfenster schliesst sich in China relativ schnell, einfach, weil dieser Trend so rasant vonstattengeht. Die Regierung will teilweise mit dem Vorschlaghammer gegensteuern. Zum Beispiel werden in Kinofilmen oder Fernsehserien Mütterrollen in den Vordergrund gestellt und andere Drehbücher mit Frauen, denen der Kinderwunsch nicht so wichtig ist, werden zensiert. Gleichzeitig hat die Propaganda hervorgehoben, dass es eine patriotische Pflicht sei, die Geburtenrate zu erhöhen.

Die Wurzel des Problems sind die hohen Lebenskosten, die schlechte Kinderbetreuung und der grosse Konkurrenzkampf um die besten Universitätsplätze und die besten Jobs.

Was heisst das konkret?

Es werden zum Beispiel finanzielle Anreize gesetzt, man bekommt Geld für jedes neue Kind. Wichtig ist auch, dass offiziell immer noch die Partei entscheidet, wie viele Kinder ein Paar bekommen darf. Derzeit gilt eine Drei-Kind-Politik. Das heisst, komplett offen ist dies noch nicht. Die Wurzel des Problems sind die hohen Lebenskosten, die schlechte Kinderbetreuung und der grosse Konkurrenzkampf um die besten Universitätsplätze und die besten Jobs. Dadurch entstehen viele Kosten für Familien.

Muss die Regierung in China damit rechnen, dass die Bevölkerung weiter zurückgeht?

Ja, das glaube ich schon. Und der prominente Wissenschaftler Ifu Qian im Exil sagt, dass das Problem noch viel schärfer sei als es die offiziellen Statistiken glauben machen.

Das Gespräch führte Silvia Staub.

SRF 4 News, 17.01.2024, 09:35 ; 

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