Migrantinnen und Migranten versuchen mit kleinen Booten von Frankreich nach Grossbritannien zu gelangen. Sie hoffen auf eine bessere Zukunft. Die britische Regierung wirft Frankreich vor, nicht genug gegen die Überfahrten zu machen.
Frankreich seinerseits beschwert sich ebenfalls. So beschuldigte Innenminister Darmanin Grossbritannien, eine Vereinbarung nicht eingehalten zu haben. Laut dieser müsste sich das Land mit rund 60 Millionen Euro an den Kosten der Überwachung beteiligen. Ein anderes Problem sei die Länge der Küste. Es fehle den französischen Sicherheitskräften die Kapazität, um diese rund 130 Kilometer rund um die Uhr streng zu bewachen.
Nun ist bekannt geworden, dass die französischen Behörden eine grosse Zahl von Militärfahrzeugen und Boote für die Küstenwache bestellt haben, um die Migration einzudämmen.
Frankreich klagt auf der einen, Grossbritannen auf der anderen Seite. Es gebe mehrere Gründe, warum die Migrantinnen und Migranten in dieses Land wollen, erklärt SRF-Grossbritannienkorrespondent Patrik Wülser:
- Familienmitglieder in Grossbritannien und somit soziale Anknüpfungspunkte
- Die englische Sprache , die sie verstehen
- Grossbritannien als Arbeitsplatz-Paradies mit zehntausenden offenen Jobs
- Staatliches und unentgeltliches Gesundheitssystem
- Eine Art Traumdestination für viele Migranten aus ehemaligen britischen Kolonien
Somit stranden jeden Tag hunderte Migrantinnen und Migranten an britischen Küsten. Das sei ein Drama, so Wülser, wenn Menschen im November in Gummibooten eine der meistbefahrenen und gefährlichsten Meeresengen überqueren. Für niemanden ist die Situation einfach. So beschrieb der Bürgermeister von Dover am Wochenende, was es für die Hafenstadt bedeute, wenn an einem Tag 1000 unterkühlte Frauen, Männer und Kinder ankommen.
Grossbritannien ist seit dem Brexit nicht mehr Teil des Dublin-Abkommens, mit dem Flüchtlinge zurückgeschafft werden können. «Von den 25'000 Migrantinnen und Migranten, die in diesem Jahr hier gestrandet sind, konnten genau fünf zurückgeschafft werden», sagt der Grossbritannien-Korrespondent.
Die britische Regierung verfolge nun verzweifelt mögliche und unmögliche Ideen. «Man verspricht den Franzosen, Millionen von Pfund zu bezahlen, damit sie ihre Küste besser bewachen. Man will die Flüchtlingsboote mit schweren Booten in französische Gewässer zurückdrängen. Ganz aktuell verhandelt man mit Ländern wie Ruanda, Albanien oder Ghana über sogenannte Offshore-Asylzentren, also Asylzentren im Ausland.»
Innenpolitische Brisanz auf beiden Seiten
Boris Johnson und seine Regierung werden zunehmend der Unfähigkeit bezichtigt, insbesondere von den eigenen konservativen Wählerinnen und Wählern. Johnson hat die Wahl mit dem Slogan «Take back control» gewonnen.
«Die Konservativen fürchten, dass sie Wähler an eine neue rechtspopulistische Partei verlieren könnten. Labour kritisiert, dass man nicht die Entwicklungshilfe kürzen und gleichzeitig glauben kann, dass dies keine Auswirkung auf die Migration hat. Sie fordern eine ganzheitliche Migrationspolitik», so Wülser.
Und auch in Frankreich sei das Thema innenpolitisch brisant – gerade in Wahlzeiten. Im politischen rechten Lager werde die Situation an der Kanalküste als eines der grossen Probleme gesehen, sagt der Frankreich-Korrespondent. Die Kandidatinnen und Kandidaten der konservativen Républicains würden sich derzeit mit Vorschlägen, wie sie auch die legale Migration stoppen wollen, überbieten.