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Gefahr durch Atomwaffen Wie werden wir die «Waffen der Schande» wieder los?

Friedensnobelpreisträgerin Beatrice Fihn hält ihre klaren Worte nicht zurück. Sie macht sich Sorgen über die aktuelle Weltlage.

Bis vor einem halben Jahr kannte kaum jemand auf der Weltbühne Beatrice Fihn. Sie war bestenfalls ein paar Verteidigungsexperten und Menschenrechtlern ein Begriff. Doch seit sie den Friedensnobelpreis erhalten hat, wird die 36-jährige Schwedin auf einmal gehört.

Sie gibt Interviews von der BBC bis al-Jazeera, sie spricht vor der UNO in New York oder an der Münchner Sicherheitskonferenz. Und sie wirft den Spitzenpolitikern vom Podium aus unverblümt vor, die Debatte über Atomwaffen rein technisch zu führen: «Viel zu selten geben die Vertreter der Atommächte und ihrer Alliierten offen zu, dass sie mit ihrer Entscheidung zugunsten von Atomwaffen letztlich bereit wären, willkürlich hunderttausende von Menschen umzubringen.»

Vertreter der Atommächte und ihrer Alliierten wären mit ihrer Entscheidung zugunsten von Atomwaffen letztlich bereit, willkürlich hunderttausende von Menschen umzubringen.
Autor: Beatrice Fihn Direktorin Int. Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen

Fihn macht sich Sorgen wegen der aktuellen weltpolitischen Stimmung. Auf einmal werde wieder ernsthaft darüber diskutiert, Atombomben aus ihren Silos zu holen und tatsächlich auf dem Schlachtfeld einzusetzen. «So hoch wie momentan war die Bedrohung durch Atomwaffen und die Wahrscheinlichkeit eines Krieges mit nuklearen Mitteln seit Jahrzehnten nicht mehr.»

Dies auch aufgrund der unübersichtlichen Weltlage: Zurzeit gebe es nicht länger zwei halbwegs berechenbare Machtblöcke wie im Kalten Krieg. «Wir haben es mit neuerdings neun Atommächten zu tun, mit einer Vielzahl von regionalen Konflikten, mit Cyberattacken, mit Terrorismus.» All das mache den Ausbruch eines Atomkriegs wahrscheinlicher, so Fihn.

Atomexplosion über dem Meer.
Legende: Beatrice Fihn setzt sich dafür ein, dass die Welt atomwaffenfrei wird: US-Atomtest auf dem Eniwetok-Atoll 1956. Reuters

Den Kalten Krieg aus reinem Glück überlebt

Die engagierte Schwedin widerspricht den Wortführern des Pro-Atom-Lagers entschieden, wenn diese darlegen, Atomwaffen hätten die Welt sicherer gemacht, ja gar stabilisiert. Sie argumentieren mit der Tatsache, dass schliesslich seit 70 Jahren, seit Hiroshima und Nagasaki, keine einzige Atombombe mehr eingesetzt worden sei.

Beatrice Fihn

ICAN-Generalsekretärin und Direktorin

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Die Schwedin Beatrice Fihn ist Direktorin der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN). Die ICAN erhielt 2017 den Friedensnobelpreis zugesprochen.

Doch Fihn kontert: Man habe den Kalten Krieg nicht dank besonnener politischer Führerschaft überlebt, «sondern allein dank unverschämt viel Glück». Eines Tages sei dieses Glück aufgebraucht. Zu Recht erinnert sie daran, dass die Welt mehrfach nur äusserst knapp an einem Atomkrieg vorbeischrammte: in der Suez-Krise, in der Kuba-Krise, aber auch in zahlreichen dokumentierten Fällen, als aufgrund von Fehleinschätzungen oder anderen Fehlern ums Haar eine Atombombe gezündet worden wäre.

Abschuss von Atombomben rückt immer näher

Für die Chefin der Anti-Atombombenkampagne ist klar: «Solange wir Atombomben besitzen, ist es eine Frage der Zeit, bis sie eingesetzt werden.» Und mit jedem Tag, an dem sie weiterexistierten, rücke der Tag eines Abschusses näher. «Also zählt jeder Tag.» Im Übrigen, ergänzt sie sarkastisch: «Wenn Atombomben tatsächlich so friedensstiftend und stabilisierend wären, wie viele behaupten: Warum heisst man Nordkorea dann nicht willkommen im Kreis der Atommächte?»

Die Schweiz muss mit gutem Beispiel vorangehen. Es wäre eine Schande, falls sie weiter abseits steht.
Autor: Beatrice Fihn Direktorin Int. Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen

Die meisten Sicherheitspolitiker und Strategieexperten sehen im Atombombenverbot, das die UNO voriges Jahr beschloss, bestenfalls eine sympathische Geste oder einen naiven Traum. Sämtliche Nuklearmächte blieben dem Abkommen bislang fern. Für Fihn zeigt dessen Verabschiedung aber, dass nicht nur die Atombombenbefürworter mobilisieren, sondern auch die Gegner.

Hoffen auf die Zivilgesellschaft

Tatsächlich haben immerhin mehr als 120 Staaten das Verbot unterzeichnet. Und auch innerhalb der Atommächte regen sich die Nuklearwaffengegner. Wie auch in jenen Nato-Ländern, die zwar selber keine Atombomben besitzen, deren Regierungen aber aus Solidarität zu den USA das Atombombenverbot ablehnen. So wachse etwa in Norwegen, den Niederlanden oder in Italien der Widerstand im Volk gegen Atomwaffen.

Atombomben sind Waffen der Unmenschlichkeit, des Abschlachtens von Zivilisten. Es sind Waffen der Schande.
Autor: Beatrice Fihn Direktorin Int. Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen

«Grosse Veränderungen kommen meistens von unten», zeigt sich die schwedische Juristin überzeugt. Fihn hofft, dass auch die Schweiz, die zurzeit noch zögert, das Atombombenverbot ratifiziert. Die neutrale Schweiz als Hüterin der Genfer Konventionen, als Ort von Friedensgesprächen, als Sitzstaat des IKRK, müsste, so fordert sie, eigentlich mit gutem Beispiel vorangehen. «Es wäre eine Schande für die Schweiz, falls sie weiter abseits steht», sagt Fihn dezidiert. Auch würde es den guten Ruf der Schweiz arg beschädigen.

Und in den Köpfen der Führer der mächtigen Länder dürften Atomwaffen nicht länger für Macht, Prestige und Sicherheit stehen, betont Fihn. «Sie sind vielmehr Waffen der Unmenschlichkeit, des Abschlachtens von Zivilisten, kurz: Waffen der Schande.»

Bis sich diese Erkenntnis durchsetzt, ist ein ziemlicher Bewusstseinswandel nötig.

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